Konstantin Josuttis über die Anreise zur Fußball-WM 1930 in Uruguay

Wer 1930 zu einer Fußballweltmeisterschaft fahren wollte, hatte schon mit einigen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Das fing schon damit an, dass es noch keinen durchgehenden Flugverkehr gab, was die Dauer der Anreise um ein Vielfaches verlängerte, zumindest wenn das Ziel auf einem anderen Kontinent lag.

Dies schränkte den Fußballtourismus der Fans natürlich erheblich ein. Aber nicht nur die Anhänger mussten etliche Mühen auf sich nehmen, auch die Mannschaften, die am Turnier teilnahmen, hatten mit der Anreise zu kämpfen. All das ist heute fast nicht mehr vorstellbar, weshalb ein Blick auf die erste Fußballweltmeisterschaft, die 1930 in Uruguay stattfand, so lohnenswert ist.

Fußball war damals schon ein Massensport, nicht nur in Europa. Allerdings war die frisch geborene Idee einer Weltmeisterschaft von vielen europäischen Verbänden argwöhnisch betrachtet worden. So richtig traute sich keiner der europäischen Verbände, eine WM zu veranstalten – angesichts der Tatsache, dass sich Länder heute um die Vergabe förmlich reißen, kaum mehr vorstellbar. Eine Organisation schien den meisten zu teuer. So bekam Uruguay den Zuschlag, damals die Schweiz Südamerikas. Das Land hatte genug Geld, um den antretenden Teams eine kostenfreie Unterbringung zu garantieren.

Anreisen mussten die wenigen, die sich auf die Reise trauten, dennoch auf eigene Kosten. Aus Europa kamen Belgien, Rumänien, Frankreich und Jugoslawien. Die ersten drei fuhren samt FIFA-Funktionärsriege auf dem Luxusdampfer „Conte Verde“ nach Montevideo.

Wie darf man sich eine solche Reise vorstellen? Es gibt zahlreiche Anekdoten über Spieler, Schiedsrichter und Fußballpräsidenten. Eines aber haben die meisten der Reisenden gemein: Sie alle kommen fülliger in Montevideo an, als sie in Genua, Villefranche-Sur-Mer, Barcelona oder Lissabon zugestiegen sind. Die Spieler waren der ersten Klasse zugeteilt, wie ungefähr ein Drittel der an Bord befindlichen über 3.000 Passagiere. Die meisten Reisenden waren allerdings arme Leute, die aus dem von der Wirtschaftskrise geplagten Europa nach Südamerika auswandern wollten. So minimalistisch man sich das Essen für die untere Klasse vorstellen darf, so opulent muss es für die Menschen auf den oberen Decks gewesen sein. Trainingsmöglichkeiten gab es auf dem Schiff kaum. Natürlich brachen Streitigkeiten darüber aus, wer wann auf Deck sein Lauftraining verrichten konnte. Das Training am Ball jedenfalls kann nicht allzu lange stattgefunden haben – die mitgebrachten Lederbälle verschwanden im Laufe der Zeit allesamt im Atlantik.

In Rio de Janeiro wurde dann die brasilianische Mannschaft an Bord geholt, die sich sicher darüber gewundert haben wird, wie füllig der europäische Durchschnittsspieler doch ist. Immerhin hatten die Europäer bis zum Ende ihrer Reise 16 Tage Zeit, sich den Bauch vollzuschlagen. Ist das der Grund, dass am Ende keine der Mannschaften, die auf der Conte Verde gereist waren, über die Gruppenphase hinaus geschafft hat? Wie vieles andere, ist das natürlich Spekulation. Aber dazu lädt diese verrückte Reise auch einfach ein.

Wer sich näher mit der spannenden Reise der Conte Verde nach Uruguay beschäftigen möchte, dem seien folgende Websites ans Herz gelegt:

https://worldcup1930project.blogspot.com/search/label/SS%20Conte%20Verde
https://de.wikipedia.org/wiki/Conte_Verde
https://www.theguardian.com/football/blog/2014/may/13/world-cup-stunning-moments-25-conte-verde-uruguay
https://www.fifamuseum.com/de/blog-stories/blog/die-langen-wege-zur-wm-endrunde-2610349/
https://www.dfb.de/die-mannschaft/turniere/weltmeisterschaften/wm-geschichte/die-wm-1930/?m=1

Konstantin Josuttis hat sich jahrelang mit der Geschichte der Anreise zur Fußball-WM auf der Conte Verde beschäftigt. Er hat seine Recherchen und seine Fiktionen in dem spannenden Kriminalroman “Der letzte Ball” verarbeitet, der im Dezember 2021 sowohl im Print als auch als E-Book im Arete Verlag erschienen ist.