Der VfB Stuttgart hat als (Wieder-)Aufsteiger eine tolle Saison gespielt.

Unser Autor Christoph Mack trauert dennoch ganz kurz der Conference League nach …

Lucky Number Seven

Eine tolle Saison war das.

Mensch, was hat diese Mannschaft Spaß gemacht. Wie verzückt war ganz Fußballdeutschland von den Dribblings eines Silas Wamangituka, von den Bananenflanken eines Borna Sosa, von den Kopfballqualitäten eines Sasa Kalajdzic. Wie schwärmten alle von den Reflexen eines Gregor Kobel, der eleganten Ballführung Orel Mangalas oder dem unbedingten Willen von Nicolás González. Von den wöchentlichen Heldentaten eines Wataru „Legendo“ ganz zu schweigen.
Klar nach manch einem Spiel war selbst dem mürrischem Haupttribünenhocker zum Zungeschnalzen zumute. Doch am Ende war es zu wenig. 0 Punkte und 0 zu 5 Tore in zwei Spielen gegen die Fast-Absteiger von Arminia Bielefeld sprechen eine deutliche Sprache. So reicht es nicht für die Conference League (kurz CL), die manch Fan oder Verantwortliche*r gar nicht wirklich erreichen wollte. Warum diesem Wettbewerb ligaweit keine gesteigerte Bedeutung zugemessen wurde, ist mir wahrlich schleierhaft. Und insbesondere der Verein für Bewegungsspiele hätte sich meines Erachtens nach zerreißen müssen für den siebten Platz.

Natürlich wäre es dann nicht gleich gegen die Granden FC Liverpool, Inter Mailand oder Real Madrid gegangen. Aber immerhin gegen Arsenal London, AS Rom oder Celta Vigo. Doch viel wichtiger: Bei Erreichen des CL-Ranges und der damit zusammenhängenden Teilnahme an jenem neu erschaffenen Pokalkonstrukt hätten die Stuttgarter wahrlich Historisches erreichen können. Denn kein Verein, nicht mal einer der oben erwähnten hochdekorierten Vorzeigeclubs, ist gleichzeitiger Rekordsieger bei zwei offiziellen europäischen Wettbewerben. Und genau dieses Kunststück hätte dem VfB in der kommenden Saison gelingen können.

Wer jetzt immer noch ungläubig auf die vorangegangen Zeilen schaut, dem sei eine kurze Erinnerungsstütze gegeben. Also reisen wir zurück in eine Zeit, die wir heute früher nennen. Früher war sicherlich nicht alles besser, aber es wurde wenigstens kein Hehl daraus gemacht, dass das Hauptinteresse an zusätzlichen internationalen Pokalwettbewerben hauptsächlich kommerzieller Natur war. Bis zum Jahr 2008 veranstaltete der kontinentale Fußballverband den UEFA Intertoto Cup, kurz UI-Cup und allein Name und Logo ließen keinen Zweifel daran, dass er seine Daseinsberechtigung allein mit dem damit zusammenhängenden Mehrangebot an Sportwetten rechtfertigte. Der Modus war auf Anhieb so leicht zu verstehen wie die Taktikanweisungen von Robert Klauß, doch am Ende jubelten erstaunlich oft die Schwaben über eine Trophäe, die in Form und Größe einem Waffeleis erstaunlich nahekam. Unvergessen die Ehrenrunde der 2002er-Mannschaft um Krassimir Balakov, Jochen Seitz und Christian Tiffert in unambitioniert designten Gewinner-T-Shirts, nachdem sie im Finale den OSC Lille besiegt und in den Runden davor den SC Lokeren, AC Perugia und NK Slaven Belupo aus dem Turnier geworfen hatten. Es war (nach 2000) bereits der zweite Triumph in diesem Wettbewerb. Kein Team reüssierte öfter. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Gleichermaßen erfolgreich im UI-Cup zeigten sich eine Hand voll weiterer Clubs, darunter auch die altehrwürdigen Blaumänner des Hamburger SV und von Schalke 04, die mittlerweile die für ehrliche Pokalwettbewerbe nötige Bodenhaftung verloren haben und in ihrer ganz eigenen Traditional Super League gegeneinander antreten). Jetzt fehlte also nur noch der CL-Sieg zum alleinigen Rekord.

Man male sich das mal aus – unter der Woche, CL auf RTL. Live. Materazzo stets in feinem Zwirn, Mislintat noch öfter mit eloquenten Halbzeitinterviews. Übersteiger en masse von Silas gegen heillos überforderte slowakische Halbprofis. Die Gruppenphase geschenkt, im Achtelfinale zum ersten Mal Verlängerung gegen Wolfsberg, dennoch durchgesetzt. Vitesse Arnheim im Viertelfinale wird dagegen ohne größere Mühe besiegt, im Halbfinale Losglück. Stade Rennes ist machbar, doch nach dem 1:1 im Hinspiel steht es im Rückspiel nach 91 Minuten genauso. Ehe González den Turbo zündet und in der Mitte Mohamed Sankoh findet, der das Tor zum Finale schießt. Dort wartet dann tatsächlich Arsenal London, zum ersten Mal im Turnierverlauf mit der A-Elf. Ein fataler Fehler, wurde jene doch maßgeblich von Sven Mislintat zusammengestellt. Die Schwachstellen sind schnell ausgemacht, Materazzos Taktik scheint schon nach wenigen Minuten aufzugehen, früh führen die Schwaben mit 2:0 und lassen sich den Vorsprung nicht mehr nehmen. Um 23:04 reckt Daniel Didavi eine unförmige Trophäe in die Höhe und hievt den VfB mit diesem Triumph in der neugegründeten CL auf ein ganz neues, ein ganz eigenes europäisches Hochplateau.

Schön wär‘s.

Stattdessen endet die Saison in Tristesse und Trostlosigkeit. Eine Niederlage gegen Bielefeld, Bierduschen im Presseraum also nur für die Gäste, während ausgerechnet Max Kruse, der von allen Bundesligaspielern am wenigsten CL-Lust verspürte, seinen Verein Union Berlin in letzter Minute nach Europa köpft. Für den VfB bleibt unterm Strich ein neunter Platz und die Frage wer oder was bleibt? Bruddeln wir doch mal in die Zukunft.

Kapitän Castro geht – obwohl mit ihm und seinem Last-Minute-Siegtreffer gegen Hamburg der Aufschwung seinen entscheidenden Anfang nahm. Keeper Kobel hält was das Zeug hält und ist deswegen wohl nicht zu halten. Knipser Kalajdzic wird aller Voraussicht nach EM-Torschützenkönig und dann Lewandowski-Back-Up bei den Bayern. Die spät aufgehende Saat des Michael R. (Sosa, González) wandert geschlossen in die Serie A, Wataru Endo in die Premier League, damit sein Vater endlich auch mal zu einem Spiel von ihm kommt. Pelegrino Materazzo, Sven Mislintat und Thomas Hitzlsperger treten geschlossen zurück, nachdem sich zur Überraschung aller und trotz tadellos funktionierender Abstimmungsgeräte die Außenseiterkandidatin Fridi Miller bei der Präsidentschaftswahl durchsetzt.

Und all das nur wegen zwei verlorenen Spielen gegen Arminia Bielefeld und der damit verpassten CL-Qualifikation.

Aber ansonsten, Danke dafür. Tolle Saison.

Christoph Mack ist im Schwabenland geboren und verfolgt den VfB mal lamentierend, mal voller Optimismus. Für den Arete Verlag hat er zusammen mit Simeon Boveland das Buch “traditionell zweitklassig” geschrieben.