Eintracht Braunschweig, Deutscher Meister von  1967, ist mal wieder abgestiegen.

Holger Hoeck fasst die Saison aus der Sicht eines Fans zusammen:

Saisonbilanz 2020/21: Eintracht Braunschweig

Manchmal frage ich mich schon, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, wenn ich Bayern-Fan geworden wäre. Jedes Jahr mindestens ein Titel und seit einer gefühlten Ewigkeit ein Abo auf die Pole Position in der Bundesliga würden größtenteils für meine nervliche Entspannung sorgen. Auch als Leverkusen-Supporter wäre es ganz angenehm. Irgendwas ständig zwischen Platz Zwei und Sechs verspricht auch einen überwiegend ruhigen Saisonverlauf.
Als Fan von Eintracht Braunschweig ist das Schicksal wahrlich ein anderes. Von Meisterschaft und Europapokal mindestens so weit entfernt wie die UEFA und FIFA von korruptionsfreiem Geschäftsgebaren, heißt die Gegenwart seit Ende der 80er bis auf einen einjährigen Erstliga-„Ausrutscher“ zweite oder dritte Liga. Gut – im Gegensatz zu Bayern- und Bayer-Fans weiß ich wenigstens, wie sich Abstiegskampf anfühlt, wie emotional ein Abstieg am letzten Spieltag ist und wie geil es aber auch ist, einen Aufstieg exzessiv zelebrieren zu können.
Zu solchen Gefühlen zwischen Hoffnung, Trauer und Ekstase gab es allein in der zurückliegenden Dekade sehr viele Gelegenheiten. Zu viele. Aufstiegen 2011, 2013 und 2020 standen Abstiege 2014, 2018 und in diesem Jahr gegenüber. Dazwischen noch ein Fast-Aufstieg in die Bundesliga 2017 und der Beinahe-Supergau mit dem Absturz in die Viertklassigkeit zwei Jahre später. Graue Schläfen und zu hohe Leberwerte haben genau hierin ihren Ursprung.
Nun also wieder Abstieg und Rückkehr in die mittlerweile leider fast schon gewohnte 3. Liga. War der Abstieg vorhersehbar? Ich glaube schon. Bereits der Aufstieg in der (ersten) Corona-Spielzeit 2020 glich eher einem Wunder, als dass er ein Resultat spielerischer Dominanz war. Als nach dem Auswärtsspiel in Rostock Mitte März 2020, das statt 0:3 eigentlich mit einem 0:8 aus Braunschweiger Sicht hätte enden müssen, die Saison für rund zwei Monate unterbrochen wurde, gab im Grunde kaum ein Anhänger der Blau-Gelben noch etwas auf eine positive Fortsetzung. Zu einfallslos und bieder wirkte das Gekicke. Kein Zweifel: Wäre die Saison normal weiter gelaufen – die Eintracht wäre irgendwo im Mittelfeld gelandet.
Der Nachteil, im Winter den aufgeblähten Kader mangels Nachfrage aus anderen Vereinen nicht verkleinert zu haben, erwies sich letztlich als Glücksfall. Als die Saison ab Mai mit fünf englischen Wochen am Stück fortgesetzt wurde, gingen viele Konkurrenten bald personell am Stock. Eintracht hingegen konnte de facto in jedem Spiel komplett durchwechseln und eilte mit unattraktivem, aber effektivem Ergebnisfußball plötzlich von Sieg zu Sieg. Nach einem 3:2 gegen den SV Waldhof am vorletzten Spieltag war es tatsächlich geschafft, und im leeren Eintracht-Stadion feierte die Truppe, gehüllt in peinlichen Aufstiegs-T-Shirts („Am Ende kackt die Ente“), den unerwarteten und, ehrlich gesagt, nicht wirklich verdienten Aufstieg in Liga Zwei.
Trotz der hiermit verbundenen Mehreinnahmen alleine schon durch TV-Gelder herrschte in der Sommerpause jedoch wieder traditionelle Zurückhaltung bei Investitionen in Spielerbeine. Ein 5:4 im Pokal gegen Hertha vor dem Saisonstart ließ aber Verantwortliche und Fans glauben, alles richtig gemacht zu haben. Es konnte losgehen!
Schnell wurden alle indes vom Alltag eingeholt. Desaströse Auswärtsschlappen, darunter ein sehr peinliches (da ohne Gegenwehr erzieltes) 1:4 beim Erzfeind aus der Landeshauptstadt, standen schmeichelhafte Heimsiege gegenüber. Die Abwehr lud den Gegner zu oft und zu einfach zur Verbesserung seines Torverhältnisses ein, und Stürmer mit Killerinstinkt und Torgarantie im blau-gelben Dress wurden vergebens gesucht. Nicht überraschend wies die Tabelle am Ende für Eintracht den harmlosesten Sturm und die zweitschlechteste Abwehr auf.
Auch Trainer Daniel Meyer, vor der Saison aus Aue geholt, fügte sich ins unattraktive Bild ein. Taktisch mit Sicherheit ein Fachmann, trällerte er indes Woche für Woche die altbekannten Floskeln in die Notizbücher interessierter Journalisten und wirkte während der Spiele oft genauso emotionslos wie sein Team, in dem Führungsspieler wie Felix Kroos weitgehend blass blieben und schnell als Alibi-Fußballer und Söldner in Fanforen beschimpft wurden. Völlig unverständlich blieb dabei seine Entscheidung, beim Auswärtsspiel in Fürth bewusst mit der B-Elf anzutreten (und somit das Spiel bereits vor Anpfiff verloren zu geben), um die vermeintlich Besseren für das darauffolgende wichtige Heimspiel gegen Aue zu schonen – was dann übrigens vollends daneben ging. Als selbst das letzte Heimspiel gegen die bereits als Absteiger feststehenden Würzburger Kickers, erneut nach einer blamablen Leistung, verloren ging, stand die umgehende Liga-Degradierung fest.
Es bleibt müßig, zu spekulieren, ob die Saison anders verlaufen wäre, wenn Zuschauer zu den Heimspielen zugelassen gewesen wären. Nicht ganz zu Unrecht wird den leidensfähigen Eintracht-Fans nachgesagt, aufgrund ihrer emotionalen Bindung zum Klub und ihrer Begeisterungsfähigkeit schon sehr häufig für positive Spielverläufe gesorgt zu haben. Und in den wenigen Heimspielen mit Zuschauern, denen per Los oder als „wichtige Person“ Eintritt gewährt werden konnte, sprang der Funke auch durchaus von den Tribünen aufs Spielfeld über. Mit dem erneuten Total-Ausschluss ab November war diese zarte Flamme lautstarker Unterstützung jedoch wieder erloschen und die Mannschaft auf sich alleine gestellt.
Nun heißt die Zukunft also wieder 3. Liga. Nix ist es mit Nord-Duellen gegen 95+1, Werder, Hansa oder den HSV sowie attraktiven Auswärtsreisen nach Gelsenkirchen oder Dresden. Stattdessen heißen die Gegner Türkgücü München, Verl, Wehen, Freiburg 2 und Dortmund 2. Abzuwarten bleibt, wie die Fans von Eintracht Braunschweig reagieren werden. Werden sie gewohnt treu und unkritisch brav ihre Dauerkarten kaufen, oder gibt es eine Aufbruchstimmung an der Hamburger Straße? Ich meine, dass jetzt der Zeitpunkt für eine Neuorientierung gekommen ist, insbesondere zwischen Verein und Fans. Ein „Einfach weiter so!“ sollte vermieden werden.

Holger Hoeck ist Eintracht-Fan seit 1980 – auch wenn er in Köln aufgewachsen ist und dort auch immer noch lebt. Für den Arete Verlag schreibt er momentan an der “Fußballheimat Rheinland“. Außerdem ist er redaktionell und schreiberisch für “Zeitspiel. Das Magazin für Fußball-Zeitgeschichte” tätig.