Hertha BSC hat 2020/21 eine mehr als holprige Saison gespielt.

Ein Rück- und Ausblick mit Bruno Labbadia, Michael Preetz, Carsten Schmidt, Pal Dardai und Fredi Bobic.

McDardai’s Hertha Burger
Von der „Schlechtleistung“ zur „Leistungskultur“

Leidgeprüfte wie der Autor dieser Zeilen wussten es bereits nach dem Erstrunden-Pokalaus (4:5 in Braunschweig): Das wird eine besch…eidene Saison! Und in der Tat wirkt dieses Spiel im Nachhinein wie ein Vorgriff auf die Bundesliga-Saison 2020/21 von Hertha BSC: slapstickhafte Gegentore, allein gelassene Mannschaftsteile ohne Abstimmung, dazwischen Lücken wie in einem Kindergebiss und vorne egozentrische Offensivspieler, die in Gedanken vermutlich schon bei ihrem exzentrischen Torjubel sind, den Zeitpunkt des Abspiels geflissentlich verpassen und zielsicher immer die falsche Entscheidung treffen, um dann ob der Unfähigkeit des Mitspielers theatralisch abzuwinken. Eine echte „Schlechtleistung“ hätte vermutlich Carsten Schmidt gesagt, wenn er damals schon Verantwortung für die Hertha getragen hätte.
Angesichts dieser frühen Enttäuschung war es gegenüber den eigenen Fans besonders perfide, ja fast schon niederträchtig, am darauffolgenden 1. Bundesliga-Spieltag 4:1 in Bremen zu gewinnen und damit im Weserstadion anzudeuten, welches Potenzial in der Mannschaft stecken könnte – noch wusste man ja nicht, wie wenig ein Sieg gegen Bremen in dieser Saison wert war.
Es wechselten dann in schöner Regelmäßigkeit uninspirierte Heimspiele (1:3 gegen Frankfurt, 0:2 gegen Stuttgart, 2:5 gegen Dortmund, 0:0 gegen Mainz) mit zumindest couragierten Auswärtsauftritten (3:4 in München, 1:2 in Leipzig, 0:0 in Leverkusen, 1:1 in Mönchengladbach), deren missliche Gemeinsamkeit allerdings darin bestand, dass kaum Punkte geholt wurden.
Als es dann zu Beginn des Jahres 2021 darum ging, gegen die Down Five der Liga Siege einzufahren, um zumindest keine größeren Abstiegssorgen aufkommen zu lassen, verfiel die Mannschaft mit Ausnahme des Pflichtsieges gegen die noch desolateren Knappen in Schockstarre. Es folgte die OP am offenen Herzen der Alten Dame, als der neue Klinik-Direktor Carsten Schmidt Chefarzt Bruno Labbadia, der einem aufgrund seines scheinbar willkürlich nach Preisschildern zusammengestellten Krankenhaus-Personals fast schon leidtun konnte, und den in Pressekonferenzen zunehmend schlechter gelaunten Geschäftsführer Michael Preetz von ihren Aufgaben entband. Sie wurden durch die beiden Hertha-Ikonen Pal Dardai und Arne Friedrich ersetzt. Da fällt dann schnell der Spruch „Mehr Stallgeruch geht nicht!“ – ein Bild, das man aber wieder aus dem Kopf kriegen möchte.
Und so, wie man fast überall auf der Welt bei McDonald’s zwar keine Haute Cuisine, aber doch verlässlich ein erwartbares, akzeptables und vermutlich Gen-harmonisiertes Preis-Leistungsverhältnis bekommt, lieferte auch Dardai bemerkenswert rasch das, was man als Hertha-Präsidium bei ihm einzukaufen hoffte: Die Mannschaft spielte auf einmal viel kompakter, mannschaftlich geschlossener mit einem verstärkten Fokus auf Torverhinderung und manche Spieler begannen sogar, sich gegenseitig zu helfen. Nur die Punkte blieben weiterhin Mangelware.
Just, als im Frühjahr zarte Sieg-Pflänzchen aus dem holprigen Rasen des Olympiastadion lugten, schlug dann das Corona-Virus noch einmal kräftig zu. Als erste Mannschaft der 1. Bundesliga mussten die Spieler komplett in eine zweiwöchige Quarantäne – im Rückblick möglichweise mehr Segen als Fluch, konnte sich doch nun auch der letzte Kicker in der Homeoffice-Monotonie zwischen Spinning-Bike und Play-Station sowie Henrik Kuchno-Workout und Netflix darauf besinnen, wofür er beim Verein angestellt war. Mit Wiederaufnahme des Spielbetriebs rentierten sich auch endlich die Windhorst-Millionen für einen breiten Kader, konnte Dardai doch trotz Verletzungen und Sperren ohne größeren Leistungsabfall kräftig durchrotieren. Und so gelang bereits am vorletzten Spieltag mit wackligen Knien, weichen Beinen und müden Köpfen der Klassenerhalt – ob dieser nun einem Wunder oder Dardais schwerstem Job gleichkam, mag dahingestellt bleiben.
Jetzt kommt also Fredi Bobic als neuer starker Geschäftsführer Sport und bringt gleich mal eine komplette neue Mannschaft mit – allerdings keine teuren Spieler, sondern Mitarbeiter, Neudeutsch „Staff“ genannt, vom Kaderplaner bis zum Video-Analysten. Nun gut, da waren wir von Jürgen Klinsmann Schlimmeres gewöhnt bis hin zu Wortschöpfungen wie dem „Performance Manager“. Fredis alte Mitspieler Pal, Arne und Zecke dürfen zumindest für ein weiteres Jahr bleiben. So viel Kontinuität soll sein. Ich habe mal geschaut: Es gab tatsächlich Spiele, in denen alle vier gleichzeitig auf dem Platz standen und Hertha auch noch gewann. Das macht doch Hoffnung …
Auf einmal sprechen die Verantwortlichen Mantra-artig in jedem zweiten Satz davon, dass bei Hertha BSC eine neue „Leistungskultur“ einziehen müsse, was mich natürlich ein wenig sorgenvoll fragen lässt, auf welcher Basis bislang in diesem Verein Leistungssport betrieben wurde: als Teil einer Spaß-, Freizeit- oder gar Null-Bock-Kultur?
Verein und Mannschaft bleiben also im Umbruch. So lange keiner mehr die unsägliche Phrase vom „BCC“ in den Mund nimmt, soll mir alles recht sein.

Und wie heißt es schließlich so schön seit über 100 Jahren: „Berlin ist dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein.“