Interview mit Olaf Jansen

Olaf Jansen ist freier Sportjournalist und Autor. Er arbeitet u.a. für sportschau.de. Im Arete Verlag ist gerade sein Buch “Woran hat’s gelegen? Der verpasste Traum vom Fußballprof in 13 Porträts” erschienen. Hier spricht er über seine Erfahrungen mit vermeintlich “gescheiterten” Talenten und den Defiziten in der Nachwuschsförderung.

Wie kamen Sie auf die Idee, mal nicht über die Stars der Branche zu schreiben, sondern über diejenigen, die zwar hochtalentiert waren, den endgültigen Durchbruch aber nicht geschafft haben?
Generell fällt es mir als Journalist und Fußballfreund zunehmend schwer, mit Spaß über die Helden des Profifußballs zu schreiben. Dort, in der Bundesliga, der Premier League, in der spanischen Primera Division und so weiter wird mittlerweile mit derart viel Geld hantiert, dass sich Klubs und Spieler zu Wirtschaftsunternehmen verändert haben. Da ist dann auch eigentlich kein Platz mehr für authentische menschliche Geschichten. Vielmehr geht‘s um Image, Marketing und verkaufbare Öffentlichkeitsarbeit. Sobald man diese Ebene aber verlässt, offenbaren sich auch wieder die echten Fußballgeschichten. Tragische, komische, faszinierende. Dazu gehören ganz klar auch diejenigen Protagonisten, denen die Ebene Profifußball verwehrt blieb.

Die Auswahl der 13 Spieler, die Sie vorstellen, ist sehr breit. Von Profis mit ein paar Bundesligaeinsätzen bis zu Talenten, die nie höherklassig im Erwachsenenbereich gespielt haben. Von den 2000er-Jahren bis heute, Beispiel Lucas Scholl. Was waren Ihre Kriterien?
Voraussetzung zur Aufnahme ins Buch war, dass der Traum vom Profifußball in der Kindheit oder Jugend tatsächlich mal realistisch war. Dass genügend Talent da war, um es schaffen zu können. Dieses Kriterium erfüllen – zumindest gefühlt – all diejenigen, die zum Beispiel den Sprung ins Nachwuchsleistungszentrum eines Bundesligisten geschafft haben. Diese Jungs träumen alle – mindestens heimlich – von einer Profikarriere. Und darum geht‘s: Was, wenn sich dieser Traum dann doch nicht erfüllt? Was wird aus diesen Jungs? Was wird aus ihren Träumen, ihrem späteren Leben? Fühlen sie sich als Gescheiterte oder gehen sie vielleicht nach einer solch fundamentalen Enttäuschung gestärkt ins Erwachsenenleben?

Wie fielen die Reaktionen der Spieler aus? Gab es viele Absagen auf Ihre Anfragen?
Natürlich sind die allermeisten dieser Jungs erst einmal skeptisch, wenn man sie auf ihre gescheiterte Fußballgeschichte anspricht. Sie haben im Zusammenhang mit ihrem Fußballtraum mitunter sehr negative Erfahrungen gemacht – auch mit Journalisten. Sie wollen schlicht nicht vorgeführt werden. Es geht also darum, sie von der Ernsthaftigkeit und Seriosität eines solchen Buchthemas zu überzeugen. Es geht sehr viel um Vertrauen. Wenn ich diese sichere und vertrauliche Ebene mit den Jungs erreicht hatte, war es überall gleich: Es eröffneten sich überaus spannende, interessante Lebensgeschichten. Ich hatte den Eindruck, dass es den Spielern auch selbst durchaus gut tat, alles einmal auszusprechen, was ihnen im Zusammenhang mit ihrer verpassten Karriere so auf dem Herzen lag.

Wie schätzen die Spieler ihre Laufbahnen im Rückblick selbst ein? Betrachten sie sich als „gescheitert“? Waren sie darauf vorbereitet, dass es trotz ihres Talentes nicht reichen könnte?
Keiner der Jungs war auf das Scheitern wirklich vorbereitet. Alle hatten – zumindest zeitweise – ganz fest damit gerechnet, es zu schaffen. Von daher war es für alle ein schwerer Schlag, als deutlich wurde, dass nichts aus dem Traum würde. Wie sie dann mit dieser Erkenntnis umgegangen sind – da sind wirklich alle total verschieden. Die einen sind fast dran zerbrochen, ein anderer hat sich schnell umorientiert und Kraft aus einer anderen Beschäftigung gezogen. Und dann gibt‘s ja auch die, die sich ganz bewusst irgendwann gegen den Profifußball entschieden haben – wie Torhüter Jonas Ermes. Ein Mensch, der den Fußball über alles liebt, seine Liebe aber fallen lässt, weil er das Geschäft drum herum nicht aushalten kann. Er ist heute – in einem ganz anderen Job – ein sehr glücklicher Mensch.

Neben den eher schicksalhaften Bedingungen wie schwere Verletzungen oder ein Körper, der die dauerhaft hohen Belastungen nicht toleriert, kommt in vielen Porträts auch die Rolle des Umfeldes zur Sprache. Was sind aus Ihrer Sicht, nach all den Gesprächen, wichtige Faktoren des Umfeldes?
Ein Spielerberater hat mich im Laufe der Gespräche darauf hingewiesen: „Schau“, hat er gesagt, „die allermeisten erfolgreichen Profi-Fußballer kommen aus starken, intakten Familien, in denen das Talent des Sprösslings und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Profifußballs sehr realistisch eingeschätzt wurden. Siehe zum Beispiel Toni Kroos, Mats Hummels oder die Bender-Zwillinge. Da waren bodenständige Eltern beteiligt, die ihre Jungs auf dem Boden der Tatsachen gehalten, gleichzeitig aber sehr stark unterstützt haben. Das ist viel wert. Viel mehr, als das Wirken irgendeines Spielerberaters.

Sie haben für das Buch auch mit Wissenschaftlern, Trainern, Beratern und mit Joti Chatzialexiou gesprochen, der im DFB an zentraler Stelle u.a. die Nachwuchsförderung koordiniert. Sieht er grundsätzliche Mängel im Talentförderungssystem des deutschen Fußballs?
Ja, beim DFB ist in Sachen Talentförderung im Moment vieles im Umbruch. Man hat erkannt: Im jetzigen System gehen die Künstler des Fußballs verloren. Man entwickelt eher gleichförmig funktionierende Spieler, denen aber Phantasie und Gestaltungswille abgehen. Es fehlen die „besonderen“ Spieler. Diejenigen, die mit ihren individuellen Fähigkeiten den Unterschied ausmachen. Das haben Chatzialexiou und seine Leute erkannt. Sie wollen den Individualismus fördern und müssen daher fast das ganze Ausbildungssystem ändern. Denn gerade die kreativen Freigeister des Spiels werden im aktuellen System ganz früh aussortiert.

Im Buch wird immer wieder die mangelnde Durchlässigkeit vom Junioren- zum Erwachsenenbereich bei den Bundesligisten thematisiert. Aber ist es überhaupt realistisch, dass sich die Quote derjenigen, die es vom Nachwuchsleistungszentrum in den Bundesligakader schaffen, deutlich erhöht?
Es ist ganz einfach: Ist ein junger Spieler gut genug, wird er von einem funktionierenden Profiverein auch schon als ganz Junger ins Profiteam gezogen. Wir landen also wieder bei der Ausbildungsqualität. Und dort waren wir ja schon. Es werden zu viele gleichförmige Spieler gefördert und ausgebildet, denen aber die besonderen Fähigkeiten fehlen, um es wirklich ins Bundesligateam zu schaffen. In den drei deutschen A-Jugend-Bundesligen spielen insgesamt 52 Mannschaften mit einem Kader von jeweils etwa 23 Spielern. Ganz grob also: über 1.000 Spieler pro Jahrgang. Die haben alle ordentliches Niveau. Den Sprung in ein Profiteam schaffen von denen aber nur etwa zehn Spieler pro Jahrgang. Es müssten mindestens 40 sein. In anderen Ländern wie England, Frankreich oder Portugal ist das so. An unserem Ausbildungssystem stimmt also etwas nicht.

Wird die Corona-Krise die Nachwuchsarbeit des DFB und der Vereine nachhaltig verändern?
Die Erkenntnis, dass im Ausbildungssystem etwas nicht stimmt, fällt zeitlich zusammen mit der Corona-Krise. Das ist ein Zufall. Wird aber möglicherweise dazu führen, dass irgendwann – vielleicht schon bald – mehr junge in Deutschland ausgebildete Spieler Zugang zum Profiteam bekommen. Sei es, weil die Vereine wegen der Corona-Krise beim Personal Einsparungen vornehmen müssen. Oder weil in der Ausbildung mehr Wert auf Individualität gelegt wird. Man hat ja auch erkannt, dass in den NLZs die Trainerfrage gestellt werden muss. Zuletzt haben dort zu viele Ausbilder gearbeitet, die mehr Wert auf ihre eigene Karriere gelegt haben, als dass sie die Entwicklung der Spieler im Auge hatten. Diese Trainer trauten sich kaum an die schwieriger zu handhabenden Freigeister unter den Jugendlichen heran, weil sie zu sehr an den Siegen und Tabellenrängen gemessen wurden.

Gibt es in dem Buch eine Geschichte, die Sie auch emotional berührt hat?
Emotional haben mich wirklich alle der 13 Geschichten gepackt. Aber nicht nur die. Ich hatte während der Recherchen Kontakt zu vielen weiteren Akteuren, die aus unterschiedlichen Gründen nicht im Buch gelandet sind. Da waren zum Teil sehr tragische Stories dabei, bei denen die Spieler letztlich gebeten haben, ihre Geschichte nicht öffentlich zu machen. Diese Erfahrungen sind mir alle ans Herz gegangen.

Zum Schluss: Wenn Sie einen 17-jährigen Sohn hätten, der an der Schwelle zum Profifußball stünde, was würden Sie ihm raten?
Ich würde ihn unterstützen, so gut ich das kann. Es geht darum, dass die Jungs wissen, was sie tun. Wenn sie Bescheid wissen um die rein statistisch geringe Chance, Fußballprofi werden zu können, und es aber dennoch unbedingt versuchen wollen – dann sollen sie es tun. Sie müssen ihre Entscheidung selbst treffen – aber um das gut tun zu können, brauchen sie möglichst viel Wissen über das Geschäft mit dem Jugend- und Profifußball.