In den deutschen Fußball-Regionalligen herrscht Chaos.
Überall gelten andere Aufstiegs- und Abstiegsregelungen – wenn denn überhaupt gespielt wird. Unser Kolumnist Holger Hoeck sieht darin große Ungerechtigkeiten.
Nun ist es also amtlich. Auch die Regionalliga Südwest kürzt die Anzahl der Absteiger, da es keine Aufsteiger aus den Oberligen aufgrund der abgebrochenen Saisons in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz/Saar gibt. Monatelang kämpfte sich über die Hälfte des 22er-Starterfeldes durch den aus 42(!) Spieltagen bestehenden Mammut-Spielplan, um auch in mehreren englischen Wochen die nötigen Punkte zu sammeln, die verhindern sollten, einer der sechs Auszusortierenden zu werden.
Aufgrund der mageren Punkteausbeute nach rund drei Viertel der durchzupeitschenden Spiele stehen mit Eintracht Stadtallendorf und Bayern Alzenau die potentiellen Absteiger wohl jetzt (Stand: Anfang Mai) schon fest. Auch in der anderen verbliebenen spieltauglichen Staffel, der seit November durch Abstimmung zur Profiliga deklarierten Regionalliga West, fiel eine ähnliche Entscheidung. Hier steigt sogar nur der Letzte der 21 Teilnehmer ab. Auch hier setzt der Verband, in diesem Falle der Westdeutsche Fußball-Verband, seinen Fokus auf die unbedingte Durchführung aller 40 Spiele pro Klub – fürs Jammern über mögliche Überlastungen oder -anstrengungen bleibt ja die Sommerpause.
Ziemlich entspannt zeigen sich hingegen seit Monaten die Vereine im Norden und Nordosten der Regionalligen. Klar, den Klubs aus Leipzig, Lübeck und Delmenhorst wäre es natürlich auch lieber gewesen, wenn man ihnen ermöglicht hätte, ihre im November zunächst unter-, im Frühjahr dann schließlich abgebrochene Saison doch fortzusetzen. Ging aber nicht – Verbandsentscheidung. Auch eine offizielle Ernennung zur Profiliga unterblieb. Was lernen wir daraus? (Feierabend-)Kicker des FC Wegberg oder aus Stadtallendorf gelten als Profis, Spieler von Energie Cottbus, FC Carl Zeiss Jena oder BFC Dynamo formell nicht. Ziemlich absurd.
Noch grotesker wird es nun aber bei der Frage um den Aufstieg in die dritte Profiliga. Rot-Weiss Essen, wochenlanger Tabellenführer, verlor seinen Platz an der Sonne durch einen mehrwöchigen Durchhänger an die Zwote von Borussia Dortmund. Hier könnte es tatsächlich passieren, dass RWE selbst über 90(!) erzielte Punkte nicht für einen Aufstieg reichen. Gleiches Schicksal könnte auch Traditionsverein Kickers Offenbach im Südwesten ereilen. Freude hingegen in Berlin, wo der FC Viktoria 89 nach einem zugegebenermaßen starken Saisonstart (elf Siege in elf Spielen) zum Aufsteiger gekürt wurde. 33 Punkte sind somit mehr wert als 80 bis 90. Eine Logik, die wohl nur der Fußball erlaubt.
„Aus Sicht des Fußballs fällt es unheimlich schwer, zu akzeptieren, dass es ligenabhängig völlig unterschiedliche Kriterien und Parameter gibt. Das ist zwar in den jeweiligen Spielordnungen so verankert, dass die Regionalligen das selbst verantworten können und der DFB keinen Einfluss darauf hat. Es fällt allerdings wirklich schwer, sich mit dieser Situation anzufreunden“, erklärt RWE-Vorstand Marcus Uhlig. „Aufsteiger Berlin hat noch nicht mal ein spieltaugliches Stadion. Das alles schreit ja förmlich danach, dass sich im deutschen Fußball Leute darüber Gedanken machen sollten, wie man solche Dinge verhindert und wie aus einem Gerechtigkeitsempfinden eingegriffen werden sollte. Die 3. Liga läuft ansonsten aus mehreren Gesichtspunkten Gefahr, sich ein Stück zu entwerten.“
Wie sieht es bei den anderen Ligen aus? In der zweigeteilten Nord-Staffel wird die Absurdität vielleicht sogar noch gesteigert. Dort peilt etwa Teutonia Ottensen aus dem Bezirk Altona, beim Abbruch nach gerade einmal zehn ausgetragenen Spielen Fünfter, den Aufstieg an. Hier stimmt also noch nicht einmal die sportliche Qualifikation. Doch ist dies ein Grund, den angestrebten Aufstieg zu verbieten? Ach iwo.
Dann bleiben noch die Bayern. Die haben im Juli 2019, also vor 22 Monaten, die Regionalliga-Saison 2019/20 eröffnet, die als eine der wenigen Ligen im vergangenen Sommer nicht abgebrochen, sondern saison-übergreifend fortgeführt wurde. Inzwischen in Saison 2019/21 umbenannt, konnten von den verbleibenden Spieltagen der ersten Saison indes nur wenige in der neuen Saison bis zur erneuten Unterbrechung ausgetragen werden. Damit sie demnächst nicht zur Saison 2019/22 mutiert, hat der Bayerische Fußballverband nun die Reißleine gezogen und ermittelt in einer „Aufstiegsrunde“ zwischen dem Tabellenersten, -dritten und -vierten den Teilnehmer für die Relegationsspiele gegen den Nord-Nichtmeister. Ein Aufstiegsspiel zwischen Schweinfurt (4. in Bayern) gegen Ottensen ist also möglich – da kommt in Essen und Offenbach bestimmt ganz große „Freude“ auf …
„Natürlich kann man am Ende, wenn wir es nicht schaffen, sagen, dass wir es doch selbst schuld sind, denn wir hätten ja noch mehr Punkte holen können“, meint Uhlig mit einer Spur Zynismus. Er möchte indes gerne eine andere, nicht neue Idee beleben. „Die zweiten Mannschaften gehören für mich nicht in die dritte Liga. Ideal wäre ein eigenes Ligasystem wie in England, ist aufgrund der Macht der DFL-Klubs hierzulande aber leider unrealistisch. Von mir aus können sie gerne in der Regionalliga spielen, aber dann ohne Aufstiegsrecht. Denn selbst als ambitionierter Traditionsverein ist es schwer, sich durchzusetzen, wenn die zweiten Profiteams ernst machen wollen. Die können als Fußballkonzern alle Mittel reinwerfen, die sie haben. Und das ist sehr viel mehr, als wir haben.“
Was das alles noch mit sportlicher Fairness zu tun hat? Nicht wirklich viel. Doch darum geht es ja auch nicht. Viel wichtiger ist anscheinend, die 3. Liga auch in der kommenden Saison mit komplettem Starterfeld, sprich: 20 Teams, beginnen zu lassen, damit insbesondere magentafarbene Fernsehzuschauer, dritte Programme und Sponsoren glücklich sind. Und mal ehrlich: Wer weiß denn schon noch nach wenigen Spieltagen, ob Viktoria 89 mit lediglich 33 Punkten den Sprung nach oben geschafft hat?
Verlierer gibt es dennoch: Natürlich die sportlichen Absteiger aus den Regionalligen West und Südwest, denen es nach 40 respektive 42 Spielen nicht vergönnt war, wie etwa Altona 93 mit seinen drei Punkten den Klassenerhalt feiern zu können. Und selbstverständlich auch die Nicht-Aufsteiger trotz horrender Punkteausbeute. Der größte Verlierer ist jedoch, mal wieder, der Fußball. Aber auch solch naive Alt-Fans wie mich, die immer noch glauben, dass am Ende die Gerechtigkeit siegt.
Holger Hoeck ist Journalist und schreibt regelmäßig für das Fußball-Magazin “Zeitspiel”. Im Arete Verlag erscheint in diesem Jahr von ihm die “Fußballheimat Rheinland”.