Alle Bundesligisten müssen für die letzten 10 Tage der Saison 20/21 in eine, wenn auch sehr komfortable Quarantäne.
Der VfB Stuttgart hat das Waldhotel, ausgerechnet im Stadtteil Degerloch gelegen, für die gemeinsame Auszeit gewählt. Das Waldhotel hat eine lange Geschichte und viele Geschichten. Eine davon erzählt Bernd Sautter in seinem Buch “Fußballheimat Württemberg. 100 Orte der Erinnerung”:
Denkt an Eigendorf
Die Stuttgarter Zeitung platziert am 8. März 1983 zwei Artikel untereinander, scheinbar ohne jeden Zusammenhang: den Vorbericht zum innerdeutschen Freundschaftsspiel des VfB Stuttgart gegen Dynamo Berlin und die Nachricht vom Unfalltod Lutz Eigendorfs. Der ehemalige DDR-Nationalspieler war am Wochenende gegen einen Baum gefahren. Der Unfall ist ein perfektes Verbrechen. Verübt von der Stasi, aber bis heute nicht gerichtsfest nachgewiesen. Jahre zuvor hatte Eigendorf ein Auslandsspiel genutzt, um bei einem Toilettenhalt zu fliehen. Stasi-Chef Erich Mielke wird es später immer wieder erwähnen: „Denkt an Eigendorf.“ Auch die Spieler, die für Stuttgart nominiert sind, haben bereits vom Tod Eigendorfs erfahren.
Als die Mannschaft vom BFC Dynamo nach Stuttgart reist, ist kein Halt notwendig. In den neuen Mannschaftsbussen wurden Toiletten eingebaut. Erstmals! Das Waldhotel ist ideal für die Dynamo-Aufpasser. Am Waldrand gelegen, ziemlich außerhalb. Perfekt, damit die Mannschaft keine Gelegenheit zu West-Kontakten erhält. Für das Mannschaftsessen reservieren die Ost-Berliner einen eigenen Saal. Allerdings führt der Weg von der Rezeption in diesen Saal direkt durchs öffentliche Restaurant. Darum sind die Spieler angewiesen, an der Rezeption zu warten, damit man gemeinsam – außen rum – in den eigenen Raum marschiert.
Rainer Ernst, ehemaliger Stürmer des BFC Dynamo, hat solche Spielchen oft mitgemacht. Heute schmunzelt er darüber: „Wenn einer von uns los wollte, hätten die das niemals verhindern können. Wer hätte uns aufhalten sollten?“, fragt er, „auf keinen Fall einer von den fetten Funktionären, die kaum noch laufen konnten.“ Das Spiel selbst ist engagiert und hochklassig. Ziemlich schnell liegt der VfB mit 0:3 hinten. Kurz vor Schluss können die Stuttgarter sogar noch das Siegtor erzielen. Die Sportführung der DDR ist zufrieden. Dynamo demonstriert, dass man mit der Bundesliga auf Augenhöhe spielt. Am nächsten Morgen fährt der Bus nach Ost-Berlin zurück – ohne Pinkelpause.
Harte Fakten:
– VfB Stuttgart – BFC Dynamo 4:3
– Zuschauer: 5.900
– Siegtreffer: Asgeir Sigurvinsson
– Gespräche unter den Spielern: keine
Bernd Sautter ist Werbetexter und Autor. Er schreibt regelmäßig für das Fußball-Magazin “Zeitspiel” und die Liga der Propheten. Für den Arete Verlag hat er die “Fußballheimat Württemberg” zusammengestellt.