Michael Bendix und Peer Pawelczyk haben die „Fußballheimat Sachsen-Anhalt“ geschrieben. Ein Interview über ihre eigene fußballerische Sozialisation, Sachsen-Anhalt, den DDR-Fußball und den demografischen Wandel.
Sachsen-Anhalt bezeichnet sich ja als „Land der Frühaufsteher“. Wann beginnen eigentlich sonntags die Amateurspiele im Fußballverband Sachsen-Anhalt?
Peer Pawelczyk: Vor 11 Uhr findet nur selten ein Spiel im Männerfußball statt.
Meistens wird zwischen 14 Uhr und 15 Uhr angepfiffen.
Michael Bendix: Sicherlich nicht früher als anderswo, auch wenn ich zugeben möchte, dass mich jedes Mal, wenn der Begriff an den Autobahngrenzen der Bundesländer an mir vorbeiflog, ich mir so meinen Teil dachte, ob das wohl der echten Realität entspricht. Wer sich das marketingtechnisch ausgedacht, um ein Bundesland zu repräsentieren, alle Achtung, ein ziemlicher Ohrwurm …
Ihr habt beide selbst viele Jahre in Sachsen-Anhalt Fußball gespielt. Bei welchen Vereinen und haben Euch die damaligen Auswärtsspiele indirekt geholfen, das Buch „Fußballheimat Sachsen-Anhalt“ zu schreiben?
Peer Pawelczyk: Ich habe von 1985 bis 1995 bei der BSG Chemie Sandersdorf bzw. der SG Union Sandersdorf im Jugendbereich auf Kreis- und Landesebene gespielt und dadurch natürlich einige von den Stadien kennenlernen dürfen, über die ich jetzt geschrieben habe. Danach folgten noch zehn weitere Jahre beim FSV Löberitz, geprägt von großartigem Zusammenhalt, die ich nicht missen möchte.
Michael Bendix: Ich verbrachte meine gesamte Jugend bei der damaligen BSG Chemie Leuna Halle-Neustadt und durfte dort bis zur Bezirksklasse spielen. Sogar einige Spiele in der Kreisauswahl von Halle-Neustadt, damals noch eine eigene Stadt mit 100.000 Einwohnern, ebneten meinen sportlichen Weg. Insofern waren mir vielen Erinnerungen noch sehr präsent, auch der Orte, die ich durch den Spielbetrieb dort kennenlernte und die sich auch zum Teil im Buch wiederfinden. Quasi als unbewusster Ratgeber bei der Entscheidungsfindung.
Ihr habt das Buch „Fußballheimat Sachsen-Anhalt“ zusammen geschrieben, gleichzeitig war jeder für seine Texte verantwortlich. Wie habt Ihr auch das Bundesland aufgeteilt?
Peer Pawelczyk: Ich habe mich eher auf den Norden, die ländlichen Vereine und meinen Heimatlandkreis Anhalt-Bitterfeld konzentriert.
Michael Bendix: Jeder von uns hatte so seine regionalen Präferenzen und Begehrlichkeiten und so sind wir schnell zusammengekommen, wer was macht. Mir war wichtig, dass ich als Hallenser auch mal die Stadt Magdeburg ein klein wenig anders kennenlerne als nur im Gästeblock.
Wenn man sich die Karte in der Buchklappe vorne anschaut, fällt auf, dass nördlich von Magdeburg kaum noch Fußball-Orte Erwähnung finden. Gibt es eine Erklärung dafür, dass die Region im Norden Sachsen-Anhalts fußballerisch nicht so bedeutend ist?
Peer Pawelczyk: Die Altmark, die Börde sowie das Jerichower Land sind eher dünn besiedelt und strukturschwach. Deswegen gibt es dort auch seit jeher deutlich weniger Vereine als in anderen Regionen.
Michael Bendix: Das wirtschaftlich sowie kulturelle Herz des Bundeslandes Sachsen-Anhalt ist sicher eher in der Mitte und im Süden anzusiedeln, sodass sich die Auswahl eher dort konzentrierte. Aber natürlich ist uns nicht verborgen geblieben, dass auch im Norden des Landes Fußball gespielt wird, was mit dem Beitrag von Kuhfelde unterstrichen werden sollte.
Historisch und vor allem heute sind natürlich Magdeburg mit dem FCM und Halle mit dem HFC die Zentren des sachsen-anhaltinischen Fußballs. Gab es in der Geschichte andere Städte und Vereine, die auch deutschlandweit eine Rolle gespielt oder zumindest Magdeburg und Halle herausgefordert haben?
Peer Pawelczyk: Ab Mitte der 1930er Jahre hatte der SV Dessau 05 ein Jahrzehnt lang die Vormachtstellung in Sachsen-Anhalt inne und trat in den Endrunden zur Deutschen Fußballmeisterschaft an. In den 1950er Jahren hatten Lok Stendal und Fortschritt Weißenfels die Nase vorn, bis 1965 und 1966 die Fußballclubs in der DDR entstanden.
Michael Bendix: Als erstes wäre da Stendal zu nennen, die es mit dem Hallenser Fußballidol Klaus Urbanczyk an der Seitenlinie in der Saison 1995/96 mit drei Siegen über Zweitligisten schafften, sich für das Viertelfinale im DFB-Pokal zu qualifizieren. Lok Altmark Stendal war Mitte der 1990er Jahre die Nummer 1 in Sachsen-Anhalt, als von Magdeburg und Halle keine Rede mehr war. Darüber hinaus spielten die Stendaler viele Jahre in den frühen Jahren der DDR im Fußballoberhaus, worauf sich die starke Tradition begründet. Wenn es nach mir ginge, wünsche ich besonders den Stendaler mit ihrer Historie, dass sie eines Tages vielleicht mal wieder in der Regionalliga anklopfen. Die Stadt und der Verein hätten das auf jedem Fall verdient. Bisweilen gab es dann immer wieder innerstädtische Emporkömmlinge, wie den VfL Halle oder Fortuna Magdeburg, die die vorübergehenden Schwächen „der Großen“ auszunutzen versuchten, was aber letztendlich scheiterte.
Ihr habt euch 2-3 Jahre für dieses Buch intensiv mit dem Fußball in Sachsen-Anhalt beschäftigt. Was würdet Ihr sagen: Wie haben die 40 Jahre DDR die dortige Fußball-Landschaft verändert? Gibt es z.B. viele Vereine, die 1945 verboten und 1990 wieder neu gegründet wurden? Oder gibt es letztendlich sehr viel Kontinuität über die DDR-Zeit hinaus?
Peer Pawelczyk: 1945 wurden erstmal alle Fußballvereine aufgelöst. Und wenn sie dann neugegründet wurden, dann nur mit vorgeschriebenen Vereinsbezeichnungen der DDR. Tatsächlich kehrte ein Großteil nach 1990 wieder zu den alten historischen Vereinsnamen zurück. In der DDR hatte jeder Fußballverein einen Trägerbetrieb. Nach der Wende endete jedoch diese Art der Unterstützung und die Vereine mussten sich sowohl sportlich als auch finanziell neu aufstellen, was eine große Zäsur darstellte. Dadurch gerieten viele Clubs ins Hintertreffen und manche haben sich davon nie erholt.
Michael Bendix: Der Fußball unterliegt genau wie die Gesellschaft dem stetigen Prozess der Veränderung, angepasst an die jeweilige Zeit. Vom Neubeginn nach dem Krieg bis hin zu den schnellen Veränderung- und Anpassungsprozessen nach der Wende. Das machte auch was mit dem Fußball. Eine Kontinuität darüber hinaus ist immer geblieben, die Leidenschaft und die Opferbereitschaft für den Fußball, das Gemeinschaftsgefühl und was dieses für den Zusammenhalt auslöste. Das hat sich über alle politischen und gesellschaftlichen Grenzen immer gehalten und das schafft nur der Fußball, auch in der DDR.
Der demografische Wandel und das schwindende ehrenamtliche Engagement sind ja generelle Probleme unserer Gesellschaft und des Sports. Wie steht es in dieser Hinsicht um die Fußballvereine Sachsen-Anhalts? Was habt Ihr bei Eurem Gesprächen mit den Menschen vor Ort erfahren?
Peer Pawelczyk: Auch oder gerade Sachsen-Anhalt ist vom demografischen Wandel sehr betroffen. In den letzten zehn Jahren sank die Zahl der Vereine von 838 auf 708. Bei den Besuchen und Recherchen vor Ort ist mir aufgefallen, dass es oftmals nur wenige Leute sind, die mit großem Engagement ihre Sportvereine am Leben erhalten.
Michael Bendix: Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass der Fußballverband die Sorgen und Nöte der kleinen Vereine erkannt hat. Da macht der vor ein paar Jahren ins Amt gewählte Präsident des Fußball-Verbandes Herr Stahlknecht einen guten Job, soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann. Die Anliegen der Vereine werden ernst genommen und man nimmt dieses von Verbandsseite wahr. Das war bestimmt nicht immer so und ich bin ich sicher, dass man zusammen die Probleme, bestimmt nicht allumfassend löst, aber zumindest gegenseitig ein offenes Ohr hat und in der Proaktivität zusammen die Dinge angeht, die für die Zukunft des Fußballs in Sachsen-Anhalt wichtig sind.
Natürlich kann ich Euch am Ende nicht ersparen, eine TOP 3-Liste Eurer Lieblings-Fußballorte in Sachsen-Anhalt aufzustellen. Ich nehme mal an, sie fällt unterschiedlich aus …
Peer Pawelczyk: Das Sandersdorfer Sport- und Freizeitzentrum ist für mich persönlich natürlich der wichtigste Ort, da dort alles begonnen hat. Seinen ganz eigenen Charme hat das Sportforum Aktivist in Gräfenhainichen mit der langen Stehtribüne und dem imposanten Vereinsgebäude. Der Nienburger Sportpark der Freundschaft besticht dagegen durch seine einmalige Lage im stillgelegten Steinbruch. Wer sich dort genau umschaut, findet noch einige interessante Hinterlassenschaften.
Michael Bendix: Eine Auswahl fällt mir da schwer, zu sehr hängt mein Fußballherz an meiner Heimatstadt Halle, doch wenn ich es neutral halten möchte, da sind mir Orte wichtig, die durch ihre Einfachheit, vielleicht ihre Einzigkeit besondere Erinnerungen in mir auslösen. Rein aus mir heraus ist das das Stadion im Bildungszentrum in Halle-Neustadt, an dem früher ein Panzerzug zur Erinnerung an den Arbeiteraufstand 1921 stand. Eine preußische T3 Lok mit zwei Hängern war dort von 1971 bis 1994 am Stadion aufgestellt. Diese Lok entdeckte ich bei Recherchen für das Buch wieder und stattete ihr dort in der Hafenbahn Magdeburg, mittlerweile restauriert, einen Besuch ab. Ein besonderer Moment für mich, nach über 35 Jahren wieder heraufzuklettern. Dem Buch sei Dank, dass ich so ein paar Erinnerungen an mein Leben wieder auffrischen durfte. Bei den anderen Orten mache ich es kurz, Freyburg wegen der Lage und Kuhfelde wegen der Einfachheit.
Vielen Dank für das Gespräch!