Sascha Kurzrock betreibt den Blog “11km.de”. Nun hat er im Arete Verlag das Buch “Fußball – eine Deutschlandreise” veröffentlicht
„Fußball – eine Deutschlandreise. 100 Orte zum Entdecken, Erkunden und Erleben“ heißt Ihr Buch. Können Sie uns vielleicht kurz mitnehmen zur Entstehung dieses Buches: Wie haben wir uns das vorzustellen? Haben Sie eine Deutschlandreise gemacht oder 100 kleine?
Sascha Kurzrock: Weder noch. Meine Frau und ich sind seit zehn Jahren unterwegs und besuchen Fußballorte, wenn wir eine Stadt bzw. einen Landstrich kennenlernen wollen oder unsere Freunde treffen, die in ganz Deutschland wohnen. Manchmal fahren wir dann mehrere dieser Fußballorte gleichzeitig ab, zum Beispiel im Ruhrgebiet, weil es dort unzählige Möglichkeiten gibt. Wenn man dagegen die Reise nach Schwerin zur Paulshöhe antritt, fehlen einem weitere Optionen und man erkundet nur einen einzigen Ort.
Sicherlich die Frage, die Sie nicht mehr hören können, die aber unvermeidlich ist: Wie kam die Auswahl zustande? Was waren die Kriterien für die einzelnen Orte?
SK: Bei der Auswahl hatte ich von Verlagsseite freie Hand, es gab lediglich die Vorgabe, dass es auf der Deutschlandkarte möglichst wenige Leerstellen geben soll. Gewissermaßen ist das aber nicht zu vermeiden, da die Großstädte in der Regel Fußball-Hotspots sind und Fußball-Kultur auf dem Land anders ausgeprägt ist, beispielsweise in einem intakten Vereinsleben, aber nicht in Fußball-Sehenswürdigkeiten.
Ich habe dann eine Liste aller Orte genommen und erst einmal die ausgewählt, die ich unbedingt im Buch haben wollte. Einige schlossen sich von selbst aus, da sie inzwischen nicht mehr existieren, wie beispielsweise das „Elvan“, eine wirklich großartige Fankneipe in Braunschweig. Andere standen dagegen auf der Kippe, zum Beispiel der Stadionberg in Oberklausen, der per se kein Fußballort ist. Auf diese Weise entstand die Auswahl im Buch, mit der ich sehr zufrieden bin.
Die Beschreibungen der Orte sind ja ganz unterschiedlich: mal sachlich, mal essayistisch, mal lustig, mal eher träumerisch fiktiv. Haben Sie sich jeweils vom Ort inspirieren lassen oder wie ist der Mix zu erklären?
SK: Einerseits sind die Beiträge – analog zu den Reisen – in den letzten zehn Jahren entstanden, da kommt es automatisch zu einer gewissen Vielfalt. Andererseits ergibt sich der Schreibstil oft von selbst. Den schon erwähnten Stadionberg in Oberklausen sollte man aufgrund seiner historischen Bedeutung entsprechend seriös behandeln, dagegen gab Toppi’s Sportsbar nicht so viel her, die ist seit Ewigkeiten geschlossen. So kam mir die Idee eines fiktiven Mosel-Krimis, der aber auch Fakten aus Toppmöllers Karriere enthält. Und, das hört sich aber für viele seltsam an, die Schreibstimme in meinem Kopf gibt letzten Endes die Tonlage der Texte vor und bestimmt damit, ob sie lustig, kritisch oder wie auch immer sind.
Reisen ohne Begegnungen sind kaum vorstellbar. Gab es vor Ort prägende oder gar skurrile Kontakte?
SK: Es ist noch gar nicht so lange her, da erzählte mir jemand im Rahmen dieser Fußballreisen, dass er sich im Alter von 12, 13 Jahren immer eine Pulle Hustensaft gekauft und einverleibt hätte, „weil das so geil geknallt hätte“. Von solchen Geschichten gibt es eine ganze Menge. Meine Frau und ich haben Menschen mit interessanten Biografien getroffen, Ärzte, Biobäcker, Designer bei Adidas, Historiker oder den Leiter einer Jugendherberge, das macht die Reisen aus. Was alle Menschen immer vereint, ist, dass sie sich irgendeiner Sache im Fußballkontext total verschrieben haben, da steckt immer wahnsinnig viel Substanz drin. Freunde von uns, die das Buch gekauft haben, fassten das kürzlich ganz gut zusammen, als sie sagten: „Es geht nicht um das 11 gegen 11, sondern um die Menschen, die dahinterstecken“.
Reisen soll ja bekanntlich bilden. Wie hat Ihre Fußball-Deutschlandreise Ihr Bild von Deutschland oder zumindest vom Fußball in Deutschland verändert?
SK: Normalerweise besucht man bei Städtetrips die klassischen Sehenswürdigkeiten, durch unsere Fußballreisen lernt man aber auch weniger prominente Stadtteile wie München-Giesing kennen. Manche Landstriche hätten wir sonst nie gesehen, beispielsweise den Erfurter Ortsteil Schwerborn. Im Reiseführer „111 Orte in Erfurt, die man gesehen haben muss“ wird dort die örtliche Mülldeponie als Sehenswürdigkeit aufgelistet, mit dieser Aussicht hätte ich meine Frau niemals dorthin locken können. Den Fußballorten ist egal wo sie stehen, dadurch bekommt man ein unzensiertes Bild Deutschlands vermittelt. Allerdings finde ich mein Heimatland wunderschön, abwechslungsreich und ich werde das Ruhrgebiet jederzeit einem Urlaub auf Lanzarote vorziehen.
Ihr Buch lebt nicht nur von den Texten, sondern auch von den attraktiven Fotos, die Lust machen, sich selbst auf die Spurensuche zu machen. Sind Sie beim Fotografieren auf Probleme gestoßen?
SK: Allein aus rechtlichen Gründen verzichte ich gerne darauf, Menschen auf den Fotos abzulichten. Deshalb fotografiere ich lieber leere als volle Stadien. Bei manchen Orten ist eine Genehmigung erforderlich, beispielsweise beim Bahnhof Singen. Beim Berliner Olympiastadion darf man keine Fotos verwenden, die vom Glockenturm geschossen wurden. Da gibt es eine Reihe weiterer Beispiele. Die 11FREUNDE fragte vor gut zwei Jahren einige Fotos für ein Heft an. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass die so gut sind. Wie das Schreiben ist das Fotografieren etwas, was mir einfach Spaß macht und wobei ich die Zeit vergesse.
Was kommt nach der Deutschlandreise? Die Europa- oder gar die Weltreise „Fußball“?
SK: Dann käme zuerst der Notartermin und danach könnte ich mich bei Tinder anmelden.
Der Gedanke an Europa ist nicht abwegig, allerdings gibt es zu viele Gründe, die dagegen sprechen. Ein Beispiel: In dem Buch geht es ja nicht nur um Stadien und Museen, exemplarisch sei der Geburtsort des legendären Amiga-Klassikers „Bundesliga Manager“ in Schleswig-Holstein genannt. Ich habe meine Zweifel, ob es in Kasachstan solche Perlen gibt und ich wüsste nicht, wie man sie ausfindig machen könnte. Allerdings erhielt ich erst vor wenigen Tagen eine Nachricht, die mit dem Satz endete: „Ich freue mich schon auf Band 2“. An der Stelle hoffe ich, dass der Arete-Verlag mitspielt, um mal ganz subtil etwas Druck auszuüben.
Was würden Sie sich wünschen, was bei den Leserinnen und Lesern nach der Lektüre Ihres Buches hängenbleibt?
SK: In ein paar Tagen beginnt die Weltmeisterschaft und ich bin so heiß wie ein Gefrierfach. Ich weiß noch nicht, ob es das Alter ist oder mich die Ausprägungen des modernen Fußballs so müde gemacht haben, aber der Gedanke an ein Turnier im November erhellt mich einfach nicht. Darüber hinaus sehe ich seit Jahren keine Champions League mehr und die Anzahl der wettbewerbsverzerrenden Vereine in der Bundesliga ist meiner Meinung eindeutig zu hoch. Wem es genauso geht, der sollte sich dieses Buch kaufen, ins Auto setzen und die Orte besuchen. Er wird eine Zeit wiederfinden, in denen es für eine akkurate eingesprungene Grätsche nur eine Verwarnung gab.
Vielen Dank für das Gespräch!