Die Fußballberichterstattung in der Kultur- und Literaturzeitschrift “Die Jugend”
von Simeon Boveland

Die 1896 gegründete Zeitschrift “Jugend – Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben” setzte sich kein geringeres Ziel als das gesamte Spektrum zwischen Kunst und Leben abzudecken. Die Zielgruppe war das an Kunst, Literatur und Kultur interessierte liberale Bürgertum im Deutschen Reich. Mit dem Programm der Programmlosigkeit sollte alles von Interesse besprochen werden und somit rückte gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhundert zunehmend der Sport und ganz speziell der Fußball in den Mittelpunkt. 1940 wurde die Zeitschrift eingestellt.

Heutzutage ist Fußball omnipräsent in unserer Gesellschaft – es ließen sich ganze Buchhandlungen mit Büchern und Zeitschriften über Fußball und die ihm innewohnende Kultur füllen. Der Sport ist Teil unserer Alltagskultur geworden. Dass es ein langer Weg bis dorthin war, zeigt folgende Analyse.

Die Kultur- und Literaturzeitschrift “Die Jugend”, die 1896 in München gegründet wurde, hatte sich das erstrebenswerte und doch utopisch anmutende Ziel gesetzt, alle Genres, alle Themen und alle Textarten zu behandeln. Ihre Programmlosigkeit war ihr Programm und nicht selten wurde über ein Thema zugleich ernst und ironisch berichtet. Da alle Themen gleichermaßen besprochen werden sollten, fanden auch die Sportnachrichten ihren Weg in die Zeitschrift, was zu dieser Zeit noch äußerst ungewöhnlich war. Nachdem ab Mitte des 19. Jahrhunderts vereinzelt Ereignisse und Ergebnisse verschiedener Turn- oder Schützenvereine in Zeitschriften veröffentlicht wurden, gelangten zur Jahrhundertwende auch die Sportarten ins Licht der Öffentlichkeit, die heute als “Breitensport” bekannt sind. Als bekennender Sportenthusiast möchte ich mich mit diesen Sportnachrichten in der “Jugend” beschäftigen und zeigen, wie sich die Sportberichterstattung im Laufe der Zeit in der Zeitschrift verändert hat. Sowohl die Aufbereitung und Darstellung dieser Nachrichten als auch die daraus resultierende Wirkung spielen dabei eine Rolle. Es scheint auch die Frage von Interesse, welchem Umstand es zu verdanken ist, dass in einer Kultur- und Literaturzeitschrift überhaupt eine Sportberichterstattung stattfand.

Schon in der ersten Ausgabe der “Jugend” findet sich der erste Sportbericht, der die Stellung des Sports und die Ernsthaftigkeit, mit der die Herausgeber ihr “Programm” und ihre Ziele für die Zeitschrift verfolgten, verdeutlicht. Der Sport und die Sportberichterstattung spielten in den meisten anderen literarischen Zeitschriften keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Anders in der “Jugend”, weshalb meine Beobachtungen schon in den frühen Jahren dieser Zeitschrift, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ansetzen. In Bezug auf das Themengebiet Fußball, der sich zu Beginn des Jahrhunderts als Sportart in Deutschland etablierte, erscheint es sinnvoll, hierbei insbesondere die zwanziger Jahre intensiver zu betrachten. Die Fußballbewegung ist für eine Untersuchung der Sportberichterstattung besonders ergiebig, da anhand dieses Beispiels in besonderem Maße deutlich wird, welche Diskrepanz sich zwischen den eigentlichen Ansprüchen und inhaltlichen Maximen der Kultur- und Literaturzeitschrift auf der einen Seite und den intellektuell eher anspruchslos wirkenden Ereignissen und Berichten über körperliche Ertüchtigungen auf der anderen Seite eröffnet.

Die geistige und die körperliche Entwicklung stehen sich hier auf interessante Weise gegenüber. Darüber hinaus gewann der Fußball genau in jener Zeit gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland zunehmend an Popularität und entwickelte sich zu einem Volkssport, der heute der beliebteste im Land ist.

“Sport ist Mord”

Der Sport genoss aber nicht immer einen positive Wertschätzung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts existierten viele Turnvereine, welche die körperlichen, konditionellen und koordinativen Fähigkeiten schulen sollten und den Menschen gleichsam die Möglichkeit boten, sich in Gruppen und Vereinen zusammenzuschließen. In dieser Zeit erwuchs jedoch auch eine große Rivalität zwischen den Turnvereinen und anderen existierenden Sportarten. Besonders jene, die aus dem Ausland nach Deutschland kamen, wurden einerseits argwöhnisch beäugt, andererseits jedoch auch zunehmend beliebter. Hier sind vor allem die Sportarten Tennis, Golf und Fußball zu nennen, die auch neue soziale Zielgruppen ansprachen. Sowohl Golf als auch Tennis galten als vornehmere Sportarten und stellten damit einen Gegensatz zu den Turnvereinen dar. Gino von Finetti nimmt diesen sozialen Aspekt in seiner Zeichnung “Sportprotz” auf, die 1903 in der “Jugend” veröffentlicht wird. Auf dem Bild sind zwei Sportler in sporttypischer Tracht zu sehen, die drei kräftige Turner in Aktion beäugen und feststellen: “Ein schöner, gesunder Sport, das Turnen; schade daß es so billig ist.” (1903, Heft 48).

Neben Aspekten wie der Rivalität zwischen den verschiedenen Sportarten oder der Öffnung für weitere gesellschaftliche Schichten, wird in der damaligen Gesellschaft selbst die grundsätzliche Idee des Sports und der körperlichen Ertüchtigung in Frage gestellt. Die Idee, dass Kinder und Jugendliche am heiligen Sonntag Sport treiben, um ihre Körper zu stählen, wurde von vielen Seiten nicht gut geheißen und sogar als Torheit beschimpft. In “Sport ist Mord” (1909, Heft 2) beschreibt der Autor Frido genau diese Situation. Er schildert darin, wie der Domkapitular von Mainz – der ganz nebenbei auch ein öffentlicher Gegner der “Jugend” war – den Sport und alle körperliche Ertüchtigung als verbrecherische Torheit geißelt. Der Herr nähme sich seiner Meinung nach nämlich nur den Kranken und Siechenden an, diese seien dem Himmelreich näher. Die Gesunden aber, und damit unter anderem auch jene, die sich sportlich betätigen, seien Knechte des Satans. Denn je stärker der Körper, desto mehr gebe er sich den fleischlichen Lüsten hin.

Diese ironische Zusammenfassung der “Jugend” stellt eine Positionierung auf der Seite des Sports dar. Dies darf aber nicht exemplarisch gesehen werden. Hier lieferte der kirchliche Gegner der Zeitschrift lediglich eine Steilvorlage, die mustergültig verwertet wurde. Doch an anderer Stelle wird immer wieder auch die Skepsis der Redaktion gegenüber der neuerlichen Bewegung deutlich. Besonders die Berichterstattung über den Fußball vollzieht sich überwiegend in bildlichen Darstellungen oder satirischer Lyrik, die weniger der Werbung für diesen Sport, als einer Charakterisierung als unnützer und gewalttätiger Zeitvertreib dient (“Ein Kick daneben”, 1902, Heft 26).

O wonnevolles Fußballspiel!

Der erstmals 1874 nach Deutschland gebrachte Fußball breitete sich zuerst vorwiegend in bürgerlichen Kreisen aus und galt als Modesportart des Bürgertums. Viele Arbeiter verfügten anfangs weder über genügend Freizeit noch über die finanziellen Mittel für die nötige Ausrüstung. Erst am Vorabend des Ersten Weltkrieges und dann endgültig in der Weimarer Republik erreichte der Fußball auch die breiten Arbeiterschichten und wurde damit zum Massenphänomen.
Der Autor Bohemund beschreibt das Phänomen Fußball im Jahr 1900 in seinem Artikel “Die Fußballschlacht in Ofen-Pest” in der “Jugend” wie folgt. Nach einer kurzen Berichterstattung eines Spiels zwischen einer ungarischen und einer tschechischen Mannschaft fasst er seine Einstellung zum Fußballsport noch einmal zusammen und stellt in seinem Gedicht fest: “Dass Fußballspiele häufig nicht / Die Geisteskraft vermehren.” Zwar stellt er jedem frei, sich an diesem Sport zu erfreuen, betont aber, dass es sich dabei nur um ein Spiel handelt. Der Autor bringt kein Verständnis dafür auf, dass die Männer nach einer Niederlage in Trauer versinken. Bei einem Spiel zu verlieren sei nicht schlimm, nur wer sich für eine Niederlage schäme, solle sich wirklich schämen (1900, Heft 19). Schon zu diesem frühen Zeitpunkt in der Geschichte des deutschen Fußballs wird deutlich, welchen emotionalen Stellenwert die Sportart besitzt, aber auch welche Auffassung darüber in Teilen der Gesellschaft und in der Redaktion der “Jugend” vorherrscht. Einerseits ist Fußball lediglich ein Spiel, andererseits wird die geistige Entwicklung durch den Sport in Frage gestellt.

Diese kritische Stimme der “Jugend” wird auch in den folgenden Jahren nicht verstummen. Im Jahr 1936, als Fußball schon längst zahlreiche Anhänger hinter sich versammelt hat und in unzähligen Vereinen gespielt wird, stellt die Zeitschrift das Buch “Die Mannschaft. Roman eines Sportlebens” von Friedrich Torberg vor (1936, Heft 3).
Der Rezensent Arnold Weiß-Rüthel findet zwar einige positive Worte für das Buch, jedoch fällt es ihm gleichzeitig schwer, ein objektives Urteil zu fällen, da er selbst kein großes Interesse an Fußball hegt und deshalb Probleme hat, die Thematik in einen künstlerisch-literarischen Kontext zu überführen. Sein Unverständnis dem Sport gegenüber wird in der Passage deutlich, welche die Bezahlung der Sportler im Vergleich zu Künstlern thematisiert. Er stellt hier eine Divergenz heraus, die ihm nicht verständlich werden möchte, was bei einem Sportgegner auch nicht verwundert. Er sieht den Sport als etwas Banales, Dreckiges und Barbarisches, fernab der Zivilisation. Der Kulturmensch, der um das “Wunder der Hygiene” und weiterer zivilisatorischer Errungenschaften weiß, muss bei der Begeisterung um den Sport feststellen, wie schlecht es um die geistige Entwicklung bestellt ist.

Am härtesten trifft Weiß-Rüthel, dass “wertvollere”, kunstschaffende Menschen darben müssen. Deshalb kann er sich auch den Seitenhieb zum Ende der Rezension nicht verkneifen, in dem er zusammenfasst, dass ein Kulturmensch mit diesem Buch nicht viel anfangen könne. “Wer sich dafür interessiert, wie es auf Sport- und der gleiche Tummelplätzen zugeht, wird das Buch mit Vergnügen lesen. Soll er!” (Weiß-Rüthel, Die Mannschaft, 1936, Heft 3, S. 47)

Hier eröffnen sich gleich mehrere interessante Perspektiven und Fragen. Auf der einen Seite wird die Verbindung zwischen Sport und Literatur verdeutlicht, die nicht vereinbar erscheint. Bizeps trifft auf geistige Entwicklung, die eine Zeitschrift wie “Die Jugend” vertreten möchte. Auf der anderen Seite hat sich die Zeitschrift das Ziel gesetzt, eine thematische Universalität zu bieten, zu der auch der Sport gehört, besonders vertreten durch den ständig an Beliebtheit gewinnenden Fußball.

Durch die mit der Zeit wachsende Bedeutung des Fußballs in Deutschland verändert sich aber auch die Berichterstattung. Zwar wandelt sich die Grundhaltung der Zeitschrift gegenüber dem Sport nicht, aber immerhin würdigt “Die Jugend” seinen Zuwachs an Anhängern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts glich die Berichterstattung über Fußball einem Spiel auf Leben und Tod. Die körperliche Ertüchtigung war ein Nebeneffekt, den die meisten Spieler mit dem Leben bezahlen mussten (“Was der Sportberichterstatter schreibt”, 1903, Heft 8). Das Fußballspiel wurde in Zeichnungen dargestellt, auf denen sich die Spieler gegenseitig traten, unterschrieben mit einem oder zwei Sätzen. Oder aber, wie in dem Beispiel der “Fußballschlacht in Ofen-Pest”, in Form eines satirischen Gedichts. Die wachsende Begeisterung für den Fußball wurde in der “Jugend” ab 1913 wieder regelmäßig aufgenommen. Auch dann überwogen noch immer die Zeichnungen von martialischen Fußballkämpfen, doch gesellten sich wegen des wachsenden Interesses der Leser an diesem Sport vermehrt auch Spielberichte hinzu.

Auch auf politischer Ebene entstanden sinnbildliche Parallelen zum Fußballspiel. Die Kampfbereitschaft im Spiel bekam nun eine nationalistische Note, die im Einklang mit der politischen Gesinnung der Gesellschaft vor und während des Ersten Weltkriegs stand. Nach dem Krieg und dem Versailler Vertrag veränderte sich nochmals die politische Bedeutung des Spiels. Internationale Konflikte konnten durch den Fußball verschärft oder abgemildert werden, wie in dem Gedicht “Schwarz-Weiß-Turnier” (1922, Heft 10) thematisiert. Hier vertrat 1922 die Mannschaft aus der Schwarzwaldstadt Villingen die deutsche Ehre und den deutschen Ruhm, als sie gegen eine französische Auswahl spielte. Fußball wurde hier als Ventil der außenpolitischen Unterdrückung gesehen, die nach dem Ende des ersten Weltkriegs vorherrschte. Gleichzeitig hatte das Spiel den Charakter eines internationalen Länderspiels zwischen Deutschland und Frankreich. Fußball war in diesem Fall sowohl Sport als auch ein Instrument, um seinem Gegner eine Niederlage zuzufügen. Als bildliche Darstellung hiervon kann die Zeichnung “Fair Play” von Erich Wilke dienen (1928, Heft 26).

Der vollständige Durchbruch des Fußballs in der kultur- und literaturinteressierten Gesellschaft gelang schließlich im Jahr 1935, als die “Fußballspieler” das Titelblatt der “Jugend” schmückten (1935, Heft 23).

Zusammenfassend waren die Sportnachrichten in der “Jugend” mit die ersten, die eine breite sportliche Vielfalt boten. Gleichwohl können sie nicht mit der heutigen Sportberichterstattung verglichen werden. “Die Jugend”, die sich eine Universalität zum Programm gemacht hatte und keine Themen oder Genres ausschließen wollte, sah sich gezwungen, sich auf künstlerische und literarische Art und Weise dem entfernten Gebiet des Sports anzunähern.

Einhergehend mit diesem Versprechen der Universalität konnte sich die Zeitschrift der wachsenden Popularität der Sportarten nicht verschließen und versuchte, in ihrem Rahmen und ohne ihre eigenen Prinzipien zu verraten, die Forderungen der Leser zu erfüllen. Am Beispiel des Fußballs lässt sich das Vorgehen gut veranschaulichen. Der Fußball erlebte, parallel zu der “Jugend”, einen beachtlichen Entwicklungssprung, der dem Leser nicht vorenthalten werden sollte und konnte. In Zeichnungen und satirischen Gedichten sollten die wichtigsten Ereignisse literarisch aufgearbeitet werden, um den Sport mit dem eigenen Programm der Zeitschrift in Einklang zu bringen. Für die Redaktion war Fußball jedoch ein kämpferischer und unnötiger Zeitvertreib, der nicht mit dem eigenen geistigen Niveau zu vergleichen war, welches auch für die Leserschaft der Zeitschrift vorausgesetzt wurde. Deutlich – und das sollte sich über die Jahre auch nicht ändern – verfestigt sich das ambivalente Verhältnis der Zeitschrift zum Fußballsport. Angefangen mit dem “Fluch” des eigenen Programms, alle Themen abdecken zu müssen, erkannte die Zeitschrift den Fußball zu Beginn nur als sinnfreien Zeitvertreib, dessen Spieler nach einer kämpferischen Niederlage trauern. Mit wachsender Popularität aber schenkt sie ihm die gebührende Anerkennung, ohne ihre grundsätzliche Einstellung zu verändern. Beispielhaft hierfür steht die Zeichnung “Zwei Minuten Schweigen” von Friedrich Heuber. Hier halten Vertreter aller sozialen Schichten inne, um gemeinsam die Hymne zum großen Länderspiel zu hören. Jung und Alt, Groß und Klein, Arm und Reich, Männer und Frauen sind vertreten. Der Fußball wird hier als gemeinschafts- und identifikationsstiftendes Element ohne ironischen Unterton gewürdigt (1930, Heft 23).

Es ist diese Gleichheit vor dem Fußball, die damals und heute die Massen fasziniert. “Der Jugend” gelingt es dabei, den Fußball als Thema für eine literarische Auseinandersetzung zu öffnen; nicht als bloße Vermittlung von Informationen über sportliche Ereignisse, sondern als Annäherung an ein entferntes Themengebiet auf einem literarischen und geistig anspruchsvollen Weg.

Simeon Boveland hat Geschichte und Germanistik in Freiburg und Birmingham studiert und sich bereits im Rahmen seines Studiums mit den Anfängen der Sportberichterstattung auseinandergesetzt. Im Herbst 2020 erschien – gemeinsam mit Christoph Mack – sein erstes Buch im Arete-Verlag. In „traditionell zweitklassig“ verfolgten Boveland und Mack das ambitionierte Ziel dem Hamburger SV und dem VfB Stuttgart in der ersten gemeinsamen Zweitliga-Saison 2019/2020 literarisch gerecht zu werden.