Holger Hoeck über den Fußball an Nord- und Mittelrhein im Interview mit dem Arete Verlag
Hallo Holger, Du bist der Autor der „Fußballheimat Rheinland“. Viele Bände in der Reihe behandeln ja genau ein Bundesland, z.B. „Hessen“, „Thüringen“ oder „Saarland“. Dein erstes Problem war vermutlich, überhaupt erst einmal „Rheinland“ geografisch zu definieren. Wie hast Du Dir geholfen und welche Gebiete sind in der „Fußballheimat Rheinland“ versammelt?
Ja, das stimmt absolut. Es hätte das erste Buch der Reihe werden können, das einen Streifzug durch zwei Bundesländer unternimmt. Orientiert man sich an den Fußballverbänden, hätten auch noch Sportanlagen und besondere Örtlichkeiten aus dem Gebiet des Fußballverbandes Rheinland, also bis etwa rund um Koblenz, berücksichtigt werden können. Wir hatten uns dann aber verständigt, uns auf das Gebiet Nordrhein-Westfalens zu konzentrieren, so dass letztlich „nur“ Erinnerungsorte aus den Verbänden Mittel- und Niederrhein in Betracht kamen. Bei der Planung bin ich dann vom südlichen Bad Honnef vorbei an Bonn, Köln, Leverkusen und Düsseldorf bis zur holländischen Grenze gedanklich gewandert und hab auf dem „Rückweg“ noch Abstecher über Mönchengladbach nach Aachen und von dort über Düren zurück nach Köln eingelegt.
Ich muss jedoch zugeben, dass der Rhein lediglich die grobe Orientierungslinie darstellte. Mir war von Anfang an klar, dass etwa das Bergische Land mit den tollen Vereinen aus Wuppertal, Solingen und Remscheid unbedingt ins Buch gehört, auch wenn der Rhein hiervon schon ein gutes Stück weg ist. Auch Bocholt, bekanntlich dem Münsterland zugehörend, musste mit rein, da insbesondere der 1. FC als mehrmaliger Meister der Oberliga Nordrhein nicht verschmäht werden konnte und durfte.
Beim Fußball im Rheinland denkt man natürlich zuerst einmal an die Schwergewichte 1. FC Köln, Borussia Mönchengladbach und vielleicht auch noch Fortuna Düsseldorf und Bayer Leverkusen. Deren Geschichte ist ja hinlänglich bekannt. Welche Rolle nehmen diese Bundesliga-Vereine in dem Buch ein und unter welchem Blickwinkel hast Du sie betrachtet?
Klar, ohne diese Vereine hätte das Buch natürlich nicht funktioniert. Sie sind selbstverständlich die Zugpferde am Mittel- und Niederrhein. Ich habe dabei jedoch versucht, nicht nur die Gegenwart, sondern vorwiegend die Historie der Clubs zu betonen. Mönchengladbach etwa ist für mich als alternder Fan mit meinen aktuell 53 Jahren nicht ohne den Bökelberg denkbar. Das gilt aber auch für den Aachener Tivoli, dem Düsseldorfer Rheinstadion oder dem ehemaligen Ulrich-Haberland-Stadion in Leverkusen. Diese Stadien haben die Städte erst bekannt gemacht, und ich bin glücklich, dort als Jugendlicher viele Spiele erlebt haben zu können.
Du betonst an mehreren Stellen im Buch, dass die Oberliga-Zeiten in den 1980er-Jahren für die Entwicklung und Struktur des Fußballs im Rheinland zentral gewesen seien. Kannst Du das vielleicht an Beispielen erläutern?
Als Heranwachsender war für mich die Oberliga Nordrhein, in der Vereine aus den Verbänden Mittel- und Niederrhein spielten, in den 1980er-Jahren das Maß aller Dinge. Als Schüler mit überschaubarem Taschengeld war ich daher sehr häufig bei Spielen von Viktoria Köln. Allerdings hat mich der Verein selbst, auch aufgrund seiner damals schon mit Sponsorengeldern regelmäßig gepimpten Mannschaft, nie besonders interessiert. Stattdessen habe ich mit den Gastvereinen sympathisiert, die für mich, mit Blick in den Atlas, dann fast schon die „große Fußballwelt“ bedeuteten. Goch, Xanten, Rhede und natürlich Viktorias Dauer-Konkurrent 1.FC Bocholt – das roch nach Abenteuer! Und wenn dann noch Gästefans dabei waren, hatte ich vor denen allergrößten Respekt.
Generell bedeutete der Drittligafußball, und das war die Oberliga ja seinerzeit, in dieser Dekade bundesweit noch Fußball pur! Es gab noch keine Sicherheitskonzepte, keine VIPs, keine Gästeblöcke oder sonst was. Bestes Beispiel, das ich daher auch unbedingt im Buch aufführen musste, war etwa der Aschenplatz des SC Brück in seiner ersten Oberliga-Saison. Dieser Platz an einem Schulzentrum hatte nur ganz wenige Stufen auf einer Seite – sonst nichts. Und hier mussten dann große Vereine wie etwa Rot-Weiß Oberhausen hin – und verloren auch noch. Diese Zustände sind heutzutage selbst in der fünften Liga undenkbar, damals war es aber völlig normal.
Der SC Brück stand symbolisch aber auch für die sportlichen Möglichkeiten für die Vereine, wenn sich plötzlich ein einzelner Sponsor zum Ziel setzte, seinen Stadtteil- oder Dorfverein nach oben bringen zu wollen. Geld schoss auch damals schon die Tore.
Fans wiederum musste man zu dieser Zeit indes häufig suchen. Das war auch in der Bundesliga so. Ich erinnere mich an zahlreiche Spiele im Müngersdorfer Stadion oder Rheinstadion, wo noch nicht mal 10.000 Zuschauer anwesend waren. Fortuna Köln knackte eigentlich nie die 1000er Marke. Und in der Oberliga sowie weiter darunter sah es noch schlimmer aus.
Dankbar konnte man seinerzeit auch der medialen Berichterstattung sein. Es verging kaum ein Wochenende, wo die Sendung „Sport im Westen“ nicht aus den Oberligen Nordrhein oder Westfalen berichteten. Das war für den Bekanntheitsgrad der Vereine schon sehr wichtig. Auch ich hätte sonst kaum Vereine wie den ASC Schöppingen jemals wahrgenommen.
Vielen Texten – beginnend mit dem Vorwort – merkt man an, dass Dein Herz für die unterklassigen Vereine des Rheinlands schlägt, die sich hartnäckig behaupten und sich bemühen, Fußball-Tradition zu bewahren. Was erlebst Du in dieser Hinsicht an positiven wie negativen Beispielen bei Deinen Sportplatz-Besuchen unter der Woche oder am Wochenende?
Ich finde es toll, dass viele Vereine noch existieren und auch noch in ihren Stadien, die sich oft kaum verändert haben, von damals antreten. Es ist schön, beim Besuch bei einem solchen Verein mit früheren Aktiven oder Ex-Funktionären ins Gespräch zu kommen, die mit ihren Anekdoten stundenlang erzählen könnten. Das gibt mir viel mehr als der Profifußball, der sich schon längst von seiner Basis entfernt hat und wo es nur noch um die Vermehrung von Kapital geht. Ich liebe es stattdessen, in einer unteren Liga den Kuchen zu genießen, den die Schwester des Linksaußen selbst gebacken hat, oder eine Bratwurst zu verspeisen, die der örtliche Metzger selbst grillt.
Negativ finde ich hingegen, wie der Profifußball in den Amateurfußball mit seinen Strukturen eingreift. Ich habe es noch nie verstanden und werde es wohl auch nie, wenn Zuschauer zum Sportplatz ihres Heimatvereins hinausfahren, um sich dann im dortigen Vereinsheim im Fernsehen Bundesliga anzuschauen anstatt draußen das Spiel des eigenen Clubs. Oder sie kommen erst gar nicht oder gehen zur Halbzeit, weil Hoffenheim gegen Wolfsburg spielt oder im UEFA-Pokal irgendeine deutsche Mannschaft, zu der man sonst überhaupt keinen Bezug hat, gegen ein Team aus dem osteuropäischen XY kickt. Ach so, vergessen, UEFA-Pokal gibt’s ja gar nicht mehr …
Ich denke, es wird für viele Vereine von Jahr zu Jahr schwieriger, sich zu behaupten und auch zu überleben. Zuschauer und insbesondere die Medien setzen ihren Fokus nahezu ausschließlich auf den Profifußball. Traurig ist es besonders hier im Westen. Da spielen Traditionsvereine wie RW Essen, RW Oberhausen, Wuppertal und natürlich Alemannia Aachen in der viertklassigen Regionalliga, die aber allesamt weder im Hörfunk noch im Fernsehen stattfinden. Ab und zu mal bei „Sport inside“, okay, aber sonst? Und das ist die Crux heutzutage: Anstatt über RWE gegen Aachen vor zigtausend Zuschauern zu berichten, schaltet der WDR lieber x-mal nach Hoffenheim gegen Wolfsburg, um bei dem oben genannten Beispiel zu bleiben – weil das die vermeintlich spannende Bundesliga ist.
Haben diese kleineren Stadtteil- und Dorfvereine denn eine sichere Zukunft vor sich bzw. was müssen sie tun, um zumindest für die lokale Community attraktiv zu bleiben?
Das ist, glaube ich, eine Herkulesaufgabe. Bei Dorfvereinen ist vielleicht noch einiges möglich, wenn sich Geldgeber finden oder Clubs zusammenschließen. Oder man lebt einfach den Verein und spielt auch dort ohne Bezahlung. Wichtig ist, den regionalen Charakter zu betonen. Wenn Spieler aus dem eigenen Wohnumfeld kommen, kann zweifellos eine stärkere Identifikation mit dem Verein entstehen.
Für Stadtteilvereine in Großstädten sehe ich die Zukunft sehr negativ. Hier fokussiert sich immer alles auf den einen führenden, höchstklassig spielenden Verein. Auch im Lokalsport der Zeitungen werden diese unterklassigen Vereine, wenn überhaupt, mit nur wenigen Zeilen bedacht. Überhaupt gibt es ja in den Stadtteilen keinen Lokalpatriotismus mehr. Man muss ja nur mal etwa durch Schrebergärtenkolonien gehen. Da hängt hier in Köln natürlich die Effzeh-Fahne, aber auch Bayern, Dortmund oder Schalke. Auch auf den Autos pappen entsprechende Aufkleber. Da gibt es so gut wie nie einen Bezug zum eigenen Stadtteilclub, auch wenn der vielleicht sogar in der Landesliga spielt. Aber selbst die eigenen Spieler kommen ja mit Taschen, Mützen etc. mit den Insignien dieser Vereine zum Spiel oder Training. Man will „in“ sein, und ein sechstklassiger Stadtteilclub ist ihnen halt nicht cool genug.
Mitten in Deine Recherchezeit platzte der Beginn der Corona-Pandemie. Inwiefern hat das Deine Arbeit beeinflusst?
Am schwierigsten waren ganz klar die Fotoaufnahmen. Erst waren die Sportplätze monatelang gesperrt und ein Betreten unmöglich. Dann waren viele Bereiche aus Sicherheitsgründen abgesperrt oder mit Kreuzen zugeklebt, was nicht attraktiv war. Und ich wollte möglichst auch keine Personen (Ordner, Zuschauer, Balljungen) mit Masken ablichten. Somit war ich schon dankbar, wenn ich Bilder aus einem leeren Stadion oder Sportplatz schießen konnte. Dazu mussten auch einige Texte immer wieder aktualisiert werden, weil ein Verein plötzlich wegen der Quotientenregel aufgestiegen war oder, im negativen Fall, sich abgemeldet hatte. Das einzig Gute an Corona war, dass ich Zeit für ausgiebige Recherchen hatte.
Gib doch bitte mal demjenigen, den es für ein langes Fußball-Wochenende aus Schleswig-Holstein oder Sachsen zum ersten Mal ins Rheinland verschlägt, einen Tipp, welche fünf Orte er auf jeden Fall besuchen sollte – ohne ein definitives Ranking.
Also für Fußballhistoriker ist es bestimmt interessant, sich auf Spurensuche zu begeben. Rudimentäre Andeutungen des alten Tivoli oder des Bökelbergs sowie die Straßen, die auf den früheren Arealen entstanden sind und mit ihren Namen auf ihre Geschichte hinweisen, finde ich sehr spannend. Auch der Weidenpescher Park, wo Kölns älteste Tribüne steht, ist einen Blick durch den Zaun wert. Ein Skandal, dass die selbsternannte Sportstadt Köln sich kein bisschen um dieses sporthistorische Juwel kümmert. Als großer Fan alter Holztribünen lohnen sich Besuche in Düren. Kult besitzen aber auch die „Dorfclubs“ in Freialdenhoven oder Teveren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Holger Hoeck schreibt als freier Journalist für mehrere Tages- und Wochenzeitungen im Raum Köln sowie für „Zeitspiel – Magazin für Fußball-Zeitgeschichte“.