Gerrit Lenssen ist dreifach belastet: als Fan des VfL Bochum, als Spieler des SSV Grefrath und als Autor des Arete Verlages.

Wir sprachen mit ihm über Bewältigungsstrategien und sein Buch „Himmel – Hölle – Fußball“:

Hallo Herr Lenssen. Wie geht es einem gerade als VfL Bochum-Fan? Eher freudig erregt oder eher sorgenvoll, dass der Aufstieg nicht gelingen könnte?
Eigentlich bin ich mit den Jahren vorsichtiger geworden, weil ich früher immer zu schnell zu optimistisch war. Da hieß es dann schon nach einem halbwegs ordentlichen Saisonstart „dieses Jahr sind wir fällig!“, aber es hat halt nie gereicht. Dieses Jahr fällt das mit der Vorsicht aber recht schwer, da die Fakten ganz klar für uns sprechen. Ich bin guter Dinge, dass wir das jetzt auch über die Ziellinie bringen. Aber mein aktueller Gemütszustand? Na ja, eher so ein Einerseits/Andererseits. Einerseits eben freudige Erregung, Stolz auf das Team. Andererseits aber auch der Schmerz, dass das gerade alles ausgerechnet in der Saison passiert, in der keiner hindarf. Nach Jahren zweite Liga auf dem Sofa aufzusteigen – das ist irgendwie keine zufriedenstellende Vorstellung …

Der VfL spielt auch in Ihrem Buch „Himmel – Hölle – Fußball“ eine prominente Rolle. Was ist das eigentlich, was einen VfL-Fan Ihrer Generation ausmacht und prägt? Sie haben ja die erfolgreichsten Zeiten in der Bundesliga oder sogar im Europapokal nicht erlebt.
Das stimmt. Meine ersten Stadionbesuche beim VfL waren zwar noch zu Bundesligazeiten, aber schon da war Mittelmaß das höchste der Gefühle. Als ich dann begann, von Sitz- auf Stehplatz umzuziehen, nach Möglichkeit jedes Heimspiel wahrzunehmen, auswärts zu fahren, da war der VfL schon zweitklassig. Mittlerweile ist es das elfte Zweitligajahr und wir mussten den Blick deutlich öfter nach unten als nach oben richten, aber ich glaube, dass genau das die Liebe zum VfL extrem geprägt hat. Es ist halt intensiver, deinen Verein mit dreihundert Leidensgenossen im Sandhausener Gästeblock irgendwo im Niemandsland der Republik zum 1:1 zu schreien, als mit Zehntausenden den nächsten Bundesligasieg Richtung x-ter Champions-League-Teilnahme zu feiern. Von daher war’s zwar rückblickend oft bitter, wahrscheinlich würde ich das Fan-Sein ohne die zweite Liga und den ständigen Rückschlägen aber ganz anders ausleben, als ich es heute tue.

Sie haben Ihr Buch in zwei große Abschnitte aufgeteilt: „Fußball, das schöne Spiel“ und „Fußball, die blutige Hölle“ und dann noch einmal jeweils nach „Großer Sport“, „Amateurfußball“ und „Für echte Liebhaber“ unterschieden. Was hat es damit auf sich?
Zunächst hatte ich eine solche Aufteilung gar nicht groß im Hinterkopf, sondern habe einfach mal angefangen zu schreiben. Als die Geschichten dann standen, fiel mir auf, dass man das Ganze wunderbar in die schönen, erfolgreichen Erlebnisse und die ‚hässlichen‘, bitter endenden Geschichten splitten kann. Das passte ganz gut, weil dieser schmale Grat zwischen Himmel und Hölle einer ist, der mich an diesem Spiel schon immer fasziniert hat und auch eine schöne Parallele zum generellen Leben ist. Zugunsten der Übersicht wurde das innerhalb der Teile dann noch in die besagten drei Bereiche aufgeteilt. „‚Großer‘ Sport“ steht in dem Fall für Geschichten aus dem Fan-Leben; „Für echte Liebhaber“ für Storys außerhalb des offiziellen Spielgeschehens, darunter wilde Hobbyturniere, Freud & Leid beim Fußballgolf, Blamagen an der Torwand usw. Die Leser wissen bei den Kapiteln somit gleich, um welches Terrain es geht, und können das Buch auf verschiedene Weise lesen.

Die Geschichten im Buch sind zum einen von totaler Hingabe und Liebe zum Fußball geprägt, zum anderen von Selbstironie und Humor. Sind das die beiden Pole, mit denen Sie den Fußball leben?
Ja, das trifft es sehr gut. Gerade im Stadion ist es ernst und sobald der Anpfiff ertönt, zählt nichts anderes mehr als die nächsten neunzig Minuten Fußball und der Sieg deiner Mannschaft. Da macht es mich auch schonmal sauer, wenn ich Menschen sehe, die während des Spiels seelenruhig auf ihr Handy tippen. Aber ganz nüchtern betrachtet ist ja vieles, was man so macht als Fan, einfach absurd. Beispielsweise den ganzen Tag mies drauf zu sein, weil deine Mannschaft vor sechs Stunden unnötig verloren hat. Oder was man während eines Fußballspiels so alles von sich gibt. Absurd einfach, und deswegen kann ich auch nicht anders, als hinterher auch mal mit etwas Abstand und einer Portion Selbstironie da draufzuschauen.

Sie spielen selbst durchaus leistungsorientiert Fußball. Wenn man Ihre Erzählungen aus der Kabine oder vom Trainingsplatz so liest, denkt man aber eher an Kreisklassenfußball. Entsteht vielleicht gerade aus der Diskrepanz zwischen dem ambitionierten Denken und Reden mancher Amateurvereine und dem eher dilettantischen Handeln ihrer Akteure eine unfreiwillige Komik?
Definitiv! Das passt auch noch sehr gut zum vorangegangenen Punkt: Auch im unteren Amateurbereich geht man sonntags auf den Platz, um das Ganze ernst zu nehmen und zu gewinnen. Demgegenüber steht aber das oft von Slapstick geprägte Geschehen während der neunzig Minuten. Verstärkt wird das dann durch einige spezielle Protagonisten. Wenn der B-Liga Trainer etwa ein Alkoholverbot ausruft, obwohl die meisten seiner Spieler betrunken besser spielen als nüchtern. Wenn der Kapitän im Spielerkreis zur emotionalen Rede ansetzt und nach dem Anpfiff nichts passiert außer Geplänkel. Oder wenn der dicke Mittelstürmer die Kugel reinstolpert und zum Ronaldo-Torjubel ansetzt – dann birgt das schon alles eine unfreiwillige wie authentische Komik, die man in der Form nicht so oft wiederfindet. Ich habe das Glück, Bezirksliga in meinem Heimatdorf zu spielen. Da wird zum einen schon ein ordentliches Niveau geboten. Zum anderen aber entstehen durch dieses typische Dorf-Gefühl mit seinen Originalen immer wieder absurde Geschichten, die sich sehr gut für eine literarische Umsetzung eignen.

Natürlich muss ich Sie nach Ihrer Lieblingsgeschichte aus dem Buch oder dem wahren Fußballer-Leben fragen. Können Sie da was andeuten?
In Sachen Lieblingsstory würde ich tatsächlich das Kapitel „Von einer Reise des Schreckens“ nennen. Dies thematisiert in Form einer Chronologie zwar eine Auswärtsreise nach Ingolstadt, bei der so ziemlich alles schief gegangen ist – wir verloren damals 0:3, zwei meiner Züge fielen aus, die Taxifahrt vom letzten Bahnhof nach Hause kostete nochmal 50€, summa summarum 15 Stunden unterwegs für Nichts – aber es beschreibt eben das Leben als Fan sehr gut. Denn im Prinzip ist alles scheiße gelaufen und es bestehen keine Argumente, dies auch nur einmal zu wiederholen. Und doch sitzt man dann – ohne dass man es genau erklären kann – eine Woche später wie selbstverständlich wieder im Zug zum nächsten Spiel. Unglaublich auch, dass man sich selbst solche Tage mittlerweile sehnlichst zurückwünscht …

Das Buch endet mit einem ironischen Corona-Wochenendtagebuch aus März/April 2020, in dem Sie beschreiben, was der damalige kalte Entzug mit Ihnen angestellt hat. Jetzt sind wir ein Jahr weiter, aber an der Situation hat sich nicht so viel geändert, bis darauf, dass die ersten drei Ligen wieder im Fernsehen spielen. Was hat ein Jahr Corona aus dem Fußball-Verrückten Gerrit Lenssen gemacht? Gibt es ein Zurück in die Zukunft als Fan, Spieler und Nerd?
Das hat ganz schön viel mit mir und meinem Fußballkonsum gemacht. Am Anfang hab ich mir noch gesagt, kaum ein Geisterspiel zu schauen. Na ja, mittlerweile sind es bis zu acht pro Wochenende, womit ich wahrscheinlich mehr Nerd denn je bin. Natürlich ist das alles nicht das Wahre und ich schaue momentan eher analytisch als emotional, aber es ist eben besser als Nichts. Ein Zurück in die Kurve wird es aber definitiv geben und ich hoffe, es wird bunter und lauter als je zuvor. Nur wann, das ist aktuell natürlich noch nicht absehbar. Realistischer erscheint mir da die zeitige Rückkehr auf den Amateurplatz. Bei einer positiven Entwicklung des Impfgeschehens bin ich da schon optimistisch, dass die Saison 21/22 im Spätsommer starten kann. Und wenn ich dann nur ein Zehntel von dem umsetzen kann, was ich derzeit jedes Wochenende acht Stunden im TV sehe, dann wäre ich schon sehr zufrieden …

Ein längeres Video-Interview mit Gerrit Lenssen hat Fupa Niederrhein auf YouTube online gestellt.