“Ich kann mich eigentlich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich mal gesund gespielt habe.”

Der Ex-NFL-Spieler Björn Werner im Interview im Buch “Wege des Sports” über seinen Weg in den amerikanischen Profisport, die Bedeutung von Bildung, um eine zweite Karriere nach dem Sport aufzubauen, und den Boom von American Football in Deutschland:

American Football war ja in Deutschland jetzt nicht so populär. Wie kamen Sie zum American Football?
Björn Werner: Ich kam in der fünften Klasse dazu. Auf meiner Grundschule in Berlin gab es eine Flag Football-AG und da hat mir ein Klassenkamerad den Ball in der großen Pause mal zugeworfen. Und der spielte bei den Berlin Adlern und ich habe dann gesagt: „Lass mich mal mitkommen. Ich probier‘s mal aus.“ Ja, und der Rest ist Geschichte.

Natürlich waren die Berlin Adler, als eines der damals besten deutschen Football Teams, ein guter Start Football zu lernen. Danach gingen Sie an die High School nach Salisbury, Connecticut. Wie schwer war der Sprung von Deutschland, sowohl vom Sprachlichen als auch vom Sportlichen, weil es ja dann schon noch einmal ein Unterschied ist, die Sportart in Amerika zu spielen?
Björn Werner: Ja, es war für mich erstmal ein riesiger Kulturschock. Ich habe Englisch am Anfang kaum verstanden. Das Beste war, dass ich im Football gleich zeigen konnte, was ich draufhabe. Am Anfang hieß es natürlich: „Oh, ein deutscher Footballspieler, das macht ja keinen Sinn“. Ich habe aber auch ganz schnell das Gegenteil bewiesen. „Okay, jetzt wissen wir, warum wir ihn hierhergeholt haben.“ Ich war schnell einer der besten Spieler in meinem High School Team. Aber ja, zu den schulischen Herausforderungen kam das Heimweh – die erste Zeit war sehr hart für mich. Jeder, der behauptet, dass es einfach ist, der lügt. Jeder, den ich kenne, der diesen Weg gegangen ist, hat genau die gleichen Höhen und Tiefen erlebt. Das ist nicht einfach, als 16-, 17- oder 18-Jähriger von Zuhause weg zu sein und in einem anderen Land zu sein. Der Football, der gespielt wurde, war natürlich schneller und die Leute haben es einfach ernster genommen. Und das habe ich geliebt. Darauf habe ich die ganze Zeit gewartet. Denn ich war der Typ, der jeden Tag ins Fitnessstudio gegangen ist, abends nach dem Training. Für mich gab es nur Football, Fitness und das Erreichen des nächsten Levels. Schwierig war aber für mich das Schulische. Ich bin an eine Privatschule gegangen, eine Art Internat, was akademisch anspruchsvoller ist, und da hatte ich im ersten Semester mit Englisch zu kämpfen und darum, überhaupt mit der Schule hinterherzukommen.

Eine ganze Reihe von Colleges hatte Interesse an Ihnen. Sie haben sich für die Florida State Seminoles (FSU) entschieden. Gab es früher schon eine Vorliebe für FSU, für Tallahassee oder hat sich das so ergeben?
Björn Werner: Ich hatte anfangs keine Ahnung von College-Football. Ich habe mir sehr, sehr viele Colleges angeschaut. Ich war natürlich in einer super Situation, dass ich auch viele Optionen hatte. Ich habe während der letzten eineinhalb bis zwei Jahre meiner High School Karriere in meiner Freizeit sehr viele „unofficial visits“ gemacht, so viele wie es geht. Und von meinen „official visits“ habe ich vier von fünf wahrgenommen. Ich habe sehr viele verschiedene Szenarien gesehen und habe mich dann einfach für die Florida State Seminoles entschieden, weil ich mich dort am wohlsten gefühlt habe.

Sie haben dort Business Management studiert. Wie wichtig ist ein Studium, ist eine Ausbildung für einen Profisportler Ihrer Meinung nach?
Björn Werner: Es ist sehr, sehr wichtig, allein, um in den Sport reinzukommen und auch gleichzeitig mehr Lebenserfahrung zu sammeln. Ich habe das realisiert, weil viele Ex-Spieler zurückgekommen sind, die es mir erzählt haben. Irgendwann wird Football vorbei sein und du musst eine zweite Karriere nach der Football-Karriere aufbauen, außer du bist einer von den glücklichen 0,5%, die diese hochdotierten Verträge unterschreiben. Deswegen habe ich für mich die Entscheidung getroffen, ins Business Management zu gehen, weil ich daran immer schon sehr viel Interesse hatte.

Es gibt viele Athleten, die natürlich nur auf die Profikarriere schauen und sich um das Leben danach überhaupt nicht kümmern. Das ist natürlich fatal, oder?
Björn Werner: Das ist natürlich der größte Fehler von vielen Spielern. Amerika ist generell ein sehr sportfasziniertes Land. Aber viele Kids und Eltern sehen da diesen Lottogewinn, wenn einer aus der Familie es schafft, das wird sich wahrscheinlich nie ändern. Es gibt natürlich auch diejenigen, die sagen: „Football ist nicht alles“, aber dann gibt es die andere Hälfte, die sagt: „Football ist alles!“ Ich habe wirklich alles gesehen in meiner Karriere, teilweise erschreckende Sachen, aber auch Leute, die diese Plattform, diesen Ruhm benutzen. Denn es ist wirklich so, dass wir ganz anders begrüßt werden. Sobald jemand sagt: „Ich war an der Florida State University“, wirst du gleich mit ganz anderen Augen angesehen. Leute nutzen das. Die Veteranen, die schlauen Leute sagen: „Nutze diese Plattform, solange du es kannst, weil irgendwann wirst du vergessen sein und dann hast du nichts daraus gemacht.“ Mir wurde das sehr früh mitgeteilt und ich habe auch probiert, es so gut wie möglich umzusetzen. Jeder ist in einer anderen Situation und ich kann nicht für andere sprechen. Ich habe jedoch immer probiert, dass die Leute positiv über Björn Werner reden.

Verletzungen sind im Sport, vor allem im Football, jeden Tag gegenwärtig. Wie sehr hat Sie das Thema Gesundheit in Ihrer Profikarriere belastet?
Björn Werner: Sehr. Ich kann mich eigentlich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich mal gesund gespielt habe. American Football ist eine Sportart, in der du mit sehr vielen Verletzungen zu kämpfen hast. Ich hatte auch sehr viele OPs – insgesamt acht. Ich hatte in jeder Off-Season in meiner College- und NFL-Karriere mehrere Eingriffe. Das gehört einfach dazu. Man muss mental stark und tough sein, um manche Sachen durchzustehen. Man muss schlau sein und wissen, mit welchen Leiden man spielen kann und mit welcher Verletzung man lieber pausieren sollte. Man kann das nicht als Ausrede nehmen, jedenfalls kannst du jeden NFL-Spieler fragen: Jeder hatte Verletzungen. Das macht halt einen Unterschied. Manchmal muss man einfach Glück haben, dass man von wirklich schlimmen Verletzungen verschont bleibt, damit man seine NFL-Karriere solange wie möglich fortsetzen kann. Jeder ist in einer anderen Situation. Ich habe gute Spieler am College gesehen, da dachte jeder: Das werden die neuen Superstars! Und was ist passiert? Eine Verletzung kam und er wurde dann ein ganz anderer Spieler, als er vorher war, weil er es nie geschafft hat, sich vollständig von der Verletzung zu erholen. Das ist zwar sehr schade, aber so ist nun mal der Sport.

Sie haben die Firma Gridiron Import gegründet. Was machen Sie dort genau und wie kamen Sie auf die Idee?
Björn Werner: Ich kam darauf, weil alle immer gefragt haben, wie ich es in die NFL geschafft habe. Da dachte ich mir am Ende meiner Karriere, irgendwas in dieser Richtung starten zu müssen. Anderen Jungs vielleicht auch mal die Möglichkeit zu geben. Damals gab es bei mir das „International Student Program“ der NFL Europe. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, an die High School zu gehen. Und wir haben das mehr oder weniger kopiert – das NFL-Progamm gibt es so nicht mehr.
Ich habe aber die Erfahrung und habe das Ganze auch durchlebt. Und wir probieren jetzt, genau den gleichen Weg einzuschlagen für viele deutsche und europäische Spieler. Wir sind sozusagen Mentor, Berater, Mittelsmann – wie auch immer man das nennen mag. Wir probieren, dir eine Chance zu geben, wenn du das Potenzial hast. Was du dann daraus machst, liegt alles an dir selbst. Wir wollen dir helfen, Fuß zu fassen in Amerika, und dann schreibst du deine eigene Geschichte.

Eine TV-Karriere als zweites Standbein – kam Ihnen das schon früher in den Sinn oder hat sich das jetzt erst bei ProSieben MAXX ergeben?
Björn Werner: Ich bin da mehr oder weniger reingerutscht. Das war vor ein paar Jahren. Da war ich in Arizona als Pro-Bowl-Experte und ich habe realisiert, dass das ganz gut ankommt. Es macht total Spaß und ist nochmal eine Karriere nach der Karriere. Ich habe den Super Bowl moderiert. Mal sehen, wie weit es mich bringt. Ich schaue von Tag zu Tag. Aktuell genießen wir die Zeit als Familie. Ich genieße es, im Fernsehen als Experte zu sehen zu sein. Wo es mich am Ende hinführt, weiß ich noch nicht, aber das werden wir sehen.

Deutschland erlebt – interessanterweise erst seit kurzer Zeit – einen Boom in Sachen Football-Fans. Woher kommt das aus Ihrer Sicht und kann sich das noch weiterentwickeln?
Björn Werner: Meiner Meinung nach hat das angefangen mit Vollmer, Kuhn und Edebali. Sebastian Vollmer, der erste Deutsche, der hier aufgewachsen ist und hier angefangen hat Football zu spielen. Der erste Deutsche, der im Draft gepickt wurde und den Super Bowl gewonnen hat. Es gab so viele Geschichten, durch welche die Medien gesehen haben: Oha, Football sollten wir vielleicht doch mal ins Programm aufnehmen. Und dann war ProSieben Maxx so schlau und hat daraus ein eigenes Format entwickelt. Icke (Christoph Dommisch) als Net-Man, Frank Buschmann und dann kam noch Coach Esume dazu. Die hatten so ein passendes Team und so ein gutes Format, dass es zum Trend geworden ist. Auch Leute, die sich nicht so für Football interessieren, wurden mit einbezogen, weil viele im Freundeskreis darüber geredet haben. Als Ex-NFL-Spieler und Deutscher macht das natürlich Spaß, ein Teil davon zu sein. Ich glaube, das Ganze ist immer noch am Anfang. Aktuell werden ja Rekorde um Rekorde gebrochen. Irgendwann ist natürlich eine Grenze erreicht, aber ich denke, dass der Hype nicht so schnell abflachen wird.

Aus: Christoph Heyne, Manuel Homm & Michael Lang (Hrsg.): Wege des Sports. Athleten und Athletinnen erzählen, wie sie den Spagat zwischen Profisport und Bildung erfolgreich gemeistert haben. Arete Verlag, 2021, S. 82-85.