Der SC Freiburg hat 20/21 die letzte volle Saison im Dreisamstadion gespielt.

Unser Autor Konstantin Josuttis nimmt ganz persönlich Abschied von einer prägenden Stätte seiner Sozialisation.

Adé Dreisamstadion

Wenn man aus einer fußballerisch eher dürftig ausgestatteten Gegend wie Göttingen kommt, wo der einzige Traditionsverein irgendwann mal Insolvenz anmelden muss, dann ist es nicht schwer, sich in einer neuen Stadt in einen neuen Verein zu verlieben. So ging es auch mir, als ich 1991 zum Studieren nach Freiburg kam.
Ich könnte nun ins nostalgische Schwelgen verfallen und Namen nennen, die schon so oft genannt wurden. Aber nein, aber nein. Das wäre zu einfach und auch ein wenig zu banal und so ausgelutscht, wie der berühmte Magathsche Drops. Keine Namen. Keine Helden. Keine Trainer. Es geht mir heute um die Wiege, in dem das Baby sanft in die Traumwelt des Erstligafußballs geschaukelt wurde: das Dreisamstadion. Auch hier bitte und nochmal keine anderen Namen. Im Laufe der allgemeinen Transformierung von Stadien in „Arenen“ hat auch der SC Freiburg, der ja ansonsten immer zu den Guten und Schönen gehört, einige Ausflüge in die Seltsamkeiten der Schmuckkastenbenennung erlebt. Immerhin – Schwarzwaldstadion, der letzte Name, klingt deutlich besser als viele andere Verbrechen an eleganter Namensgebung. Aber nein, wir lassen das. Namen sind Schall und Rauch. Es geht mir um das Bodenständige, das Reale.
Als ich also in jenem besagten Jahr nach Freiburg kam und ich einige meiner Kommilitonen dazu überredet hatte, mal ein Spiel anzusehen, damals noch in der zweiten Liga, da war die Osttribüne nur ein Erdhaufen. Mein fußballfachmännischer Freund Jens (Mist, nun doch ein Name) hatte der Mannschaft ein wunderschönes Spiel attestiert, als er kam und sah und wir siegten. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Bald musste der Erdhügel einer echten Tribüne weichen. Immerhin, ein paar Jahre lang gab es dann immer noch die Nordkurve, deren Ausbau einige Tennisplätze verhinderten. Auf diesem Nordkurvenhügel, der immer unbedacht (also im Sinne von Dach) war, hatte ich auch einmal ein Pokalspiel gegen Stuttgart gesehen. Wir standen stundenlang im strömenden Regen, um zu erleben, dass Jörg Schmadtke selbstbewusst im Elfmeterschießen den Ball in die darauf noch ausgiebiger wasserlassenden Wolken hämmerte und Freiburg ausschied. Mann, war das noch Fußball. Ehrlich, nass, hässlich, mit dem Sieg für die anderen. Danke, Stadion. Ich werde das nie vergessen und nutze dieses Erlebnis immer noch als Referenz meiner Frau gegenüber, wenn sie meint, irgendetwas in unserem Mittelklasseleben sei schlecht gelaufen. Statt wie Opa auf Verdun beziehe ich mich dann auf den Erdhügel damals im Pokalaus gegen Stuttgart. Übrigens auch, wenn meiner Tochter etwas nicht schmeckt. Es reicht schon das Wort „Erdhügel“, um ein Verdrehen der Augen meiner Liebsten zu bewirken. Aber es stimmt ja auch. Wir haben gelitten. Und es somit zu etwas Eigenem gemacht.
Später kamen dann die Betonstufen und das Dach und eigentlich war’s dann immer noch schön. Alleine schon die Rituale. Nach dem Badner Lied, das ich als Nichtbadenser natürlich fleißig mitgesungen habe, um nicht aufzufallen (und tief im Herzen war ich in jenen Momenten ein echtes Bobbele), wurde La Ola in der Nordkurve initiiert. Die Welle schaffte es meist einmal durch die Gegengerade, wo die verhassten Tribünendauerkartenbesitzer saßen, scheiterte aber in der nächsten Runde und dann gab es, oh wie schön, das standardmäßige Pfeifkonzert. Ja, eben, auf solche Dinge war in diesen so verwirrenden und modernen Zeiten immer Verlass. Das völlig sinnfreie und gängige „Spätzlefresser“, wenn der VfB kam, eine Zeitlang mal die Endung -willi an jeden SC-Spielernamen, der durchgesagt wurde.
Nicht zu vergessen das abschüssige Spielfeld, das nicht nur viel zu kurz war, sondern auch einen Höhenunterschied von einem Ende zum nächsten von gefühlten drei Metern hatte. Ach, das war noch was.
Jetzt haben wir ein neues Schmuckkästchen. Ich muss zugeben, dass ich gar nicht weiß, wie es heißt. Ich fände den Namen „neues Stadion“ gar nicht schlecht. Ich glaube, es wird toll sein, ganz ehrlich. Aber ich weiß auch, dass ich die dichtgedrängten und gar nicht Corona konformen Straßenbahnfahrten vermissen werde. Das aufgeregte Traben durchs Wohngebiet, in denen schimpfende Nachbarn Menschen beim Urinieren in den Vorgarten filmen und online stellen. Schalverkäufer, die in kleinen Straßen ihre Devotionalien darbieten. Eine Stadt, die einen Tag alle zwei Wochen zum Bersten voll und völlig überlastet ist.
Die schönen Erinnerungen im Leben werden uns durch solche Unannehmlichkeiten beschert, die wir wacker für die große Sache überstanden haben. Schön war’s. Also, ich werde es ehrlich vermissen. Aber neue Zeiten lassen sich bekanntlich nicht aufhalten. Naja, als Opa werde ich dann selber nostalgisch in Erinnerungen schwelgen können, die ich meinen Enkeln mit auf den Weg geben werde.
Adé Dreisamstadion.

Konstantin Josuttis ist zwar in Göttingen aufgewachsen, lebt aber seit Studienzeiten in Freiburg. Im Arete Verlag ist sein dystopische Buch “Die dunkle Seite des Balles” erschienen. “11 Freunde”  schrieb über “Die dunkle Seite des Balles”: “Dieses auf den ersten Blick recht unscheinbare Büchlein hat es wahrlich in sich” und “Der Tödliche Pass” meinte: “35 Kleine Glanzlichter – Konstantin Josuttis schreibt serienreife Drehbuchskizzen in 17 Hin- und Rückgeschichten” (Der Tödliche Pass, Heft 88)

Momentan arbeitet er an einem Roman zur Überfahrt einer FIFA-Delegation zur ersten Fußball-WM 1930 nach Südamerika.