Der HSV und sein Präsident Marcell Jansen verfolgen einen langfristigen Plan für die Traditional Super League.

Unser Autor Simeon Boveland deckt auf:

Traditional Super League

Seit 5 Jahren und 10 Monaten schlief Marcell J. nicht mehr. An dem Tag vor eben jener ersten durchwachten Nacht war es gewesen, als Tante Käthe in Plauderstimmung und launig, wie der alte Schwabbelmaier nun mal sein konnte, gegen den Frührentner M. Jansen wetterte. „… dann hat er den Fußball nie geliebt“, schallte es über den Fußballäther und wurde tags darauf gerne und dankend vom Boulevard aufgenommen, wieder- und wiedergekäut und mit samt Jansens Reputation, der also Jugendlichen und Sportinvaliden durch seinen Gang auf Altenteil ins Gesicht geschlagen haben soll, ausgespuckt. Des Nachts echote es durch seinen Kopf. Als wäre die Entscheidung nicht ohnehin und ganz persönlich von zukunftsweisender Tragweite gewesen.

Nun konnte sich Cello ja auch nicht damit rechtfertigen, am schönsten Karriereknick aufzuhören. Gerade erst war er mit dem HSV, Glück und durch die Relegation zum wiederholten Male dem ersten Abstieg der Vereinsgeschichte von der Klinge gesprungen. Hätte er aufgehört, als es am schönsten gewesen war, dann wäre es im Sommer 2007 gewesen, als er urplötzlich an der Säbener Straße auf dem Bild der Neuzugänge neben Luca Toni, Franck Ribery und Zé Roberto stand oder als er einige Wochen später von Kahn und van Bommel in der Dusche in die Enge getrieben wurde und Musterschrank van Buyten brav Schmiere stand. Trotz der Levitenleserei war „der Kleine“ heil aus der Nummer gekommen, obwohl er auch damals aus einer merkwürdigen Mischung aus Stolz und Angst kein Auge zugetan hatte. Sagte Herr Kahn, wie Jansen anfangs seinen Kapitän nennen musste, nicht beim Rausgehen, dass er früher so welche wie ihn – Marcell – gefressen hatte? Wie dem auch gewesen sein mag: Reichten zwei Relegationen mit dem HSV nicht aus, um innerlich in Rekordzeit zu altern, um die Buffer an den Nagel zu hängen, und überhaupt: Vor wem als dem Herrgott selbst musste Marcell Jansen Rechenschaft ablegen?

Aber heute musste MJ zugeben, dass dies der Anfang von allem war. Da musste er im Grunde dankbar sein. In der Doku über seine Karriere und den Werdegang seitdem antwortete er, konfrontiert mit diesem Affront, spontan und anders als geplant (erst wollte er Hermann Hesse „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ zitieren) lässig aus der Lamäng:

„… and I took that personally.“

„Aber wissen Sie“, weiß MJ heute wissend, „thats all I needed. Und ganz ehrlich“, unterbricht sich Präsi J. selbst, redet weiter und schlussfolgert, „es scheint, als habe ich den Fußball doch immer geliebt.“

Ein schöner, letzter Satz. Hans Zimmer-Filmmusik setzt ein, das Bild gefriert und die Kamera zoomt langsam raus, weg von Jansen, raus aus dem Stadion. Abblende.

Nein, Marcell Jansen ist mehr als ein Investor für Intimpflege für Männer. Jansen weiß, was die Welt braucht, und Jansen weiß, wann es genug ist. In einem Akt der Gnade und Fußballliebe werkelt der Ex-Profi seit Jahren an einer Idee. „Fußball neu denken“, nennt er es:

„Die Idee kam mir im Sommer nach meinem Karriereende. Im ersten Sommer des Ruhestandes. Ich surfte noch auf der Erfolgswelle der gewonnenen Relegation und dachte mir: ‚Was ist da nicht alles drin?‘ So richtig begann die Planung aber erst mit dem Aufstieg von RB. Es war klar, dass es in der ersten Liga immer schlimmer werden würde. Geld regiert den Fußball und die Traditionsmannschaften tummelten sich in der zweiten Liga: KSC, 1860, Braunschweig, Nürnberg, Stuttgart, Lautern, Bochum, Bielefeld, Dresden, Pauli… Warum nicht eine Traditional Super League? Noch mit dem HSV, Köln usw. Der erste Schritt war natürlich der Abstieg vom HSV. Für mich war klar: Wenn wir das wirklich wollen, dann müssen wir auch voran gehen. Jetzt hat auch Schalke mitgezogen, die waren nach Gesprächen zu Beginn der Saison sofort Feuer und Flamme. Aber eines musste ich immer wieder festhalten: Die zweite Liga ist nicht für alle. Es ist schwer in Aue und Sandhausen ein 1:1 zu halten und nicht noch in der 90. Minute den Siegtreffer zu erzielen. Es ist nicht leicht, in Darmstadt zu verlieren. Gerade bezogen auf den HSV muss ich dem ganzen Verein ein riesen Kompliment machen, die sind mit der Situation wie echte Profis umgegangen und jetzt ernten wir die Früchte des Erfolgs. Bremen ist neu mit dabei, da freue ich mich besonders. Die werden natürlich schön auf Zinne sein. Dynamo Dresden ist wieder da, Rostock ebenso. Köln entscheidet sich hoffentlich auch noch zu unseren Gunsten. Das kann sich sehen lassen. Ich bin stolz, unheimlich stolz und ich wäre nicht MJ, wenn ich nicht jetzt sagen würde: Jetzt muss ein neuer das Steuer übernehmen. Aber hier ist meine Legacy, die Traditional Super League. Wir haben geschafft, was andere versucht haben und woran sie gescheitert sind. Es scheint, als habe ich den Fußball doch immer geliebt.“

Simeon Boveland ist im alten Hamburger Volksparkstadion aufgewachsen und mit Ali Albertz und Lumpi Spörl sozialisiert. Im Arete Verlag hat er zusammen mit Christoph Mack das Buch “traditionell zweitklassig” herausgegeben.